Wenn gute Leute Schlechtes tun

Im Team ist alles möglich. Das kann Gutes bedeuten. Das kann Schlechtes bedeuten. Eine neurowissenschaftliche Studie am MIT zeigt, dass Gruppenmitglieder in einer Wettbewerbssituation eher bereit sind, von ihren eigenen moralischen Standards abzuweichen.

Dazu haben die Forscher die Gehirnaktivitäten der Probanden in dem Bereich des Gehirns gemessen, in dem das Denken über die eigene Person nachgewiesen werden kann. Zunächst wurde das Aktivitätslevel dieses Gehirnbereichs gemessen, wenn sie als Individuum an einem Wettbewerb teilnahmen. Dann wurde das Gehirn gescannt,  wenn sie sich als Teil einer Gruppe im Wettbewerb gegen eine andere Gruppe behaupten mussten. Bei manchen Probanden reduzierte sich die messbare Aktivität dieses Gehirnbereichs, wenn sie als Teil einer Gruppe gegen eine andere Gruppe auftraten. Diese Studienteilnehmer haben im Anschluss mit grösserer Wahrscheinlichkeit ihren Gegenspielern Schaden zugefügt als andere Teilnehmer, bei denen die reduzierte Gehirnaktivität nicht nachgewiesen wurde.

Wie erklären Psychologen dieses Verhalten? Warum ändern sich die eigenen moralischen Prioritäten, wenn eine Person zwischen „uns“ und den „anderen“ unterscheidet? Mehrere Faktoren spielen eine Rolle. Zum einen fühlen sich Menschen in einer Gruppe eher anonym und haben weniger die Befürchtung, erwischt zu werden, wenn sie etwas Schlechtes tun. Da stellt sich mir sofort die Frage, ob die persönlichen moralischen Standards mehr Wunschdenken als gelebte Wirklichkeit sind. Gemäss gängiger Studien zum Gruppendenken nimmt auch die generelle Risikobereitschaft in der Gruppe zu. Die neue Studie ergänzt nun einen dritten Faktor: Gruppenteilnehmer verlieren den Kontakt zu ihren eigenen Werten („lose touch“ heisst es im englischen Originaltext) und entwickeln die Bereitschaft, zum Wohl der Gruppe und zu Lasten der eigenen Überzeugungen („the greater good“) anderen Schaden zuzufügen. Ein einfaches und zunächst harmloses Beispiel aus der Studie: Probanden, deren Gehirnaktivität des relevanten Bereichs  im Wettkampf mit einer anderen Gruppe abnahm, sollten Fotos der Teilnehmer, die in die Veröffentlichung der Studie mit aufgenommen werden sollten, auswählen. Diese suchten jeweils die unvorteilhaftesten Fotos der Teilnehmer aus der gegnerischen Gruppe aus. Bei den Fotos für die Teilnehmer aus der eigenen Gruppe war dies nicht der Fall.

Wer sich mit Gruppendynamik auskennt, wird wenig überrascht über die Erkenntnisse dieser Studie sein und sich freuen, dass es nun visuelle Nachweise für die alltäglich beobachtbaren Verhaltensweisen gibt. Ich frage mich nur, wie es Menschen mit hohen moralischen Werten ergeht, die in einer Bank arbeiten. Ich kenne zum Beispiel einige, die sich (immer noch) vorgenommen haben, als „Intrapreneurs“ positiv das Bankensystem zu gestalten. Allerdings dürfte der Gruppendruck, von den eigenen moralischen Werten abzuweichen, in einigen Bankabteilungen noch um einiges höher sein als in der vorgestellten Studie. Zu den bereits erwähnten Faktoren kommt nämlich in dieser Branche hinzu, das teilweise dank psychometrischer Verfahren bewusst rücksichtslose Menschen für bestimmte Banking-Positionen ausgesucht werden. Das betrifft möglicherweise nur einen kleinen Teil des Personals, die aber in der Regel über einen überdurchschnittlich hohen Einfluss innerhalb des Unternehmens verfügen. Wie schädlich dieses Verhalten für Unternehmen und beteiligte Individuen letztlich ist, deutet Frank Wiebe an.

Wer will diesem Gruppensog noch widerstehen, ausser er hält sich von der Branche fern?

 

Bibliographischer Hinweis: Cikara, M., Jenkins, A., Dufour, N., & Saxe, R. (in press). Reduced self-referential neural response during intergroup competition predicts later willingness to harm a competitor. NeuroImage.

Barbara Bohr, auf Twitter @nachrichtenlos, 20.06.2014. Die Studie habe ich auf Twitter dank John Humphrey gefunden.

 

 

 

 

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