Start-ups zwingen Banken zum Wandel

 

Fintech ist die Abkürzung für Finanztechnologie und steht für die Digitalisierung des Bankgeschäfts. Immer mehr Technologie-Unternehmen wollen mit ihren Ideen den etablierten Finanzsektor gründlich umkrempeln. Wird es ihnen gelingen?

 

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Ein Bankkonto und eine Karte für alle Menschen – auch für diejenigen, die keinen Wohnsitz oder keinen Pass haben. Diesen Traum wollte Balász Némethi wahrmachen, als er sah, wie in seinem Heimatland Ungarn Zäune errichtet wurden, um Flüchtlinge abzublocken. Er gründete die Bank «Taqanu» mit dem Ziel, auch Menschen ohne feste Adresse Zugang zum Finanzsystem zu geben. Kriterium für die Kontoeröffnung soll nicht mehr ein Pass sein, sondern die persönliche digitale Identität. Um diese fälschungssicher zu machen, nutzt Taqanu eine der Kerntechnologien der Fintech-Szene, die Blockchain. Das ist eine verteilte Datenbank, in der Transaktionen verschlüsselt und miteinander verkettet gespeichert werden. Sie gilt als besonders sicher (vgl. moneta, 04/2015, S. 15). Noch fehlt «Taqanu» die Bankzulassung, denn noch komplexer als die technische Umsetzung ist die Genehmigung durch die Aufsichtsbehörden. Die Identitätsprüfung bei der Kontoeröffnung ist in jedem Land streng reguliert, damit Steuerhinterziehung, Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung verhindert werden können. Immerhin hat in Deutschland die Finanzaufsicht inzwischen Kooperationsbereitschaft signalisiert und eine Arbeitsgruppe gegründet, die den Einsatz einer digitalen ID prüft.

Die Ursprünge der Fintech-Szene

Némethi ist mit seiner Geschäftsidee ganz nah an den historischen Ursprüngen der Fintech-Industrie. Eine Grundidee ist, allen Menschen Zugang zu Bankgeschäften zu verschaffen. M-Pesa, ein mobiles Bezahlsystem in Kenia, ist eine der grössten Erfolgsgeschichten in dieser Hinsicht. Einkäufe auf dem Markt können sicher per Telefon bezahlt werden. Ein- und Auszahlungen sind bei speziellen Agenturen möglich. Telekomfirmen haben dieses System entwickelt, für das ein Bankkonto nicht notwendig ist. Der zweite Ursprung ist die Idee des Internets als autonomer Rechtsraum, der wie jedes souveräne Land eine eigene Währung brauche. Das war die Geburtsstunde der digitalen Währungen, deren bekannteste Variante heute Bitcoin ist. In der Stadt Zug, die sich zum Mekka der Fintech-Industrie entwickeln möchte, kann man seit letztem Jahr die Gebühren bei der Verwaltung mit digitalen Bitcoins bezahlen. Grundlage der Währung ist auch hier die Blockchain-Technologie.

Die Banken sind aufgewacht

Der Erfolg dieser Dienstleistungen hat die Banken auf den Plan gerufen. Ob es um die digitale ID bei der Kontoeröffnung, Kleinstzahlungen und digitale Währungen, die künstliche Intelligenz in der Beratung, Online-Hypotheken oder die Automatisierung der Kontosaldierung geht: Letztlich stehen durch die Digitalisierung sämtliche Geschäftsprozesse der Banken auf dem Prüfstand. Die Beratungsfirma McKinsey rechnet damit, dass gut dreissig Prozent der Bankenerträge durch die Digitalisierung gefährdet sind. Es geht also um richtig viel Geld und viele Arbeitsplätze. Christina Kehl, Geschäftsführerin des Branchenverbands «Swiss Finance Start-ups», bringt die Vorteile der IT-Unternehmen gegenüber den Banken auf den Punkt: «Fintech-Anbieter sind in der Lage, einzelne Finanzdienstleistungen aus dem Gesamtportfolio einer grossen Bank oder Institution herauszulösen und sorgen damit für eine Demokratisierung des Finanzwesens.» Fintech-Unternehmen bieten also meist gar keine neuen Produkte und Dienstleistungen an. Sie differenzieren sich vor allem dadurch, dass sie ihre Lösungen kundenorientierter anbieten würden. Der Blick, das bestätigt auch Kehl, sei dabei auf die jüngere Kundschaft ausgerichtet, die den mobilen Zugang bevorzuge. Meist sind sie auch transparenter und preisgünstiger als traditionelle Banken, da sie ihre Prozesse konsequent automatisieren, schreibt das Beratungsunternehmen Horváth Partners in einer Marktanalyse,

Die Banken versuchen deshalb, entweder Kooperationen mit den «jungen Wilden» der Finanztechnologie einzugehen oder die Fintech-Services selbst anzubieten, also ihr eigenes Geschäft zu automatisieren. Auch in der Schweiz investieren Grossbanken und Versicherungen viel Geld in die neuen Technologien, um nicht von ihren angestammten Märkten verdrängt zu werden. Die Banken fürchten den sogenannten «Kodak-Moment» ihrer Branche. Dieser steht für die Angst etablierter Unternehmen, den technologischen Wandel zu verschlafen; der Kamera- und Filmhersteller Eastman Kodak Company gilt als Schulbuchbeispiel für eine Firma, welche die Digitalisierung ihrer Branche nicht ernst nahm und in der Folge pleite ging.

Chance für soziale und ökologische Geschäftsideen

Wie bei jedem Trend gibt es Enttäuschungen: Die Betrugsskandale an den Bitcoin-Handelsplätzen, die dubiose Kreditvergabe bei der US-Darlehensplattform «Lending Club» oder auch der Preisverfall des Börsenlieblings «Leonteq», dem Zürcher Plattformanbieter für strukturierte Anlageprodukte, zeigen, dass viele Ideen noch in den Kinderschuhen stecken. Trotz der Risiken sollte nicht vergessen werden, dass die Digitalisierung auch eine grosse Chance ist, soziale und ökologische Geschäftsideen zu fördern. Kehl betrachtet soziale Motive auch als wichtige Treiber für viele Firmen. «Wenn es zum Beispiel um das Sammeln
von Spenden geht, kann Fintech ins Spiel kommen. Potentielle Spender
sollen möglichst einfach, schnell und sicher auch kleinere Spendenbeträge
transferieren können, ohne grossen Personalaufwand auf der Empfängerseite», erläutert sie. Ausserdem gebe es zahlreiche Start-ups, deren Geschäftsmodell an sich schon eine soziale Komponente habe. Als Beispiele nennt sie Crowdfunding-Plattformen für innovative Unternehmen, Non-Profit-Organisationen oder Künstlerinnen und Künstler, für die ein herkömmlicher Bankkredit nicht in Frage komme. Hier werden nicht nur Anlagegeschäfte abgeschlossen, sondern es geht immer auch darum, eine Gemeinschaft aufzubauen. Auf der Genfer Plattform «Ground_Up-Project» etwa treffen nachhaltig orientierte Unternehmen und Investierende direkt aufeinander. Eine Bank als Vermittler braucht es nicht. Noch sind die sozialen Fintech-Unternehmen allerdings in der Minderheit.

Digital geht nur gemeinsam

Damit die rasante Entwicklung nicht als Spekulationsblase endet, müssen sich Technologie-Unternehmen, die am Aufbau einer nachhaltigen Finanzwirtschaft interessiert sind, stärker vernetzen. In dieser Hinsicht leistet Sanika Hufeland Pionierarbeit. Die Direktorin des Institute for Social Banking (isb) in Witten (D), das Bildungsangebote für werteorientierte Banken anbietet, hat in Berlin eine Veranstaltungsreihe für nachhaltig handelnde Fintech-Firmen initiiert. Zu den Teilnehmern gehört auch das Start-up «Better Payment», an dem sich die ethische GLS-Bank mit knapp zehn Prozent beteiligt hat. So kann sie ihren Geschäftskunden bessere Möglichkeiten für den Online-Handel und das sichere digitale Bezahlen bieten.

Auch Némethi weiss, dass er alleine nichts bewirken kann. Er hat sich ein internationales Netzwerk aufgebaut. Ganz Unternehmer, ist er zuversichtlich, bald die richtigen Partner für seinen Traum einer „Bank für alle“ zu finden: am besten eine andere Bank, denn dann könnte sich seine Firma über die Anzahl der zugeführten Neukunden oder geteilte Gebühreneinkünfte finanzieren. Welche Innovationen sich letztlich durchsetzen und wie genau sie die Bankwelt verändern, ist noch lange nicht ausgemacht. Nur eines scheint klar: Die Bank, wie wir sie heute kennen, wird sich stark verändern.

Doch wer weiss, ob nicht im Falle der Banken die grössere Veränderung aus einer Ecke kommt, die selten als innovativ wahrgenommen wird. Die Rede ist von der Schweizer Nationalbank, die mit ihrer Politik der Negativzinsen mehr als jedes Technologieunternehmen derzeit das klassische Geschäftsmodell der Schweizer Banken in Frage stellt.

 

Barbara Bohr, @nachrichtenlos, 15.03.2017. Der Artikel ist in der MONETA – die Zeitung für Geld und Geist, Ausgabe 01/2017, erschienen.

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