Working out Loud: nur laut oder auch Workout?

Bei einer ü50-Geburtstagsparty in Deutschland bin ich vor kurzem über diesen Begriff Working out Loud (kurz WOL) gestolpert. Denn worüber redet man zunächst mit ehemaligen Kollegen und Kolleginnen, wenn man sich nach langer Zeit erstmalig wiedersieht? Über die Arbeit.

12 Wochen im Zirkeltraining

Ich bin immer neugierig, was es denn andernorts so an Trends im Trainings- und Weiterbildungsbereich gibt. Denn die konservative Schweiz braucht meist etwas länger, bis sie sich auf Neues einlässt. Ein ehemaliger Kollege erzählte mir auf besagter Dinner Party, dass sie im Unternehmen mit «Working-Out-Loud-Circles» arbeiten würden. Leute treffen sich 12 Wochen lang, um ihre eigenen Lernziele zu verfolgen und profitieren gleichzeitig von den Ideen und dem Wissen der anderen.

Dahinter steht aus Firmensicht die Vorstellung, das interne Wissensmanagement flexibel und selbstorganisiert zu optimieren. Aus Sicht der Angestellten bietet die Methode eine Möglichkeit, über eine Teilnahme an diesen Circles die eigene Selbstwirksamkeit zu stärken. Dies geschieht dadurch, dass die Zufriedenheit im Beruf über selbstorganisierte Lernerfolge gesteigert wird. Working out loud, kurz WOL, ist also eine Selbstlernmethode. Die Circles übernehmen dabei die Funktion einer Intervision bzw. eines Peer Coaching. Das Ganze, so mein Verständnis, funktioniert ein wenig wie die Weight Watchers. Es geht zwar auch alleine, aber mit der Unterstützung einer Gruppe und eines Coaches geht es besser.

Wofür steht die Idee?

Ursprünglich stammt der Begriff “Working out loud” vom Blogger Bryce Williams. Er entwarf die Idee in einem Blogpost von 2010. Was meinte er mit “Working out loud”?

Die Bezeichnung „Working Out Loud“ (Kurzform: WOL) spielt mit dem englischen Begriff „work out“, was im Deutschen „Training“, „Sporttreiben“ oder auch „Erfolg haben“ bedeutet. Gleichzeitig steckt auch das Wort „loud“ mit drinnen, da es vor allem auch darum geht, die Erfolge der eigenen Arbeit für andere sichtbar und damit nutzbar zu machen.

https://www.buero-kaizen.de/wol-working-out-loud

Weiterentwicklung durch John Stepper

Inhaltlich wurde die Idee von John Stepper seit 2015 konzeptionell weiterentwickelt. Sein Buch Working out loud. Wie Sie Ihre Selbstwirksamkeit stärken und Ihre Karriere und Ihr Leben nach eigenen Vorstellungen gestalten ist 2020 auf Deutsch erschienen. Er hat die Ursprungsidee so gestaltet, dass sie nicht mehr nur dafür steht, die eigene Arbeit mittels Social Tools sichtbar zu machen, sondern eine eigenständige Denkweise begründen soll. Diese besteht aus fünf Elementen:

  • Zielgerichtetes Entdecken
  • Beziehungen
  • Grosszügigkeit
  • Sichtbare Arbeit
  • Wachstumsorientiertes Denken

In diesem Sinn ist WOL…

eine Methode zum Aufbau von Beziehungen, die einem in irgendeiner Weise helfen können – sei es beim Erreichen eines, Ziels, bei der Entwicklung einer Fertigkeit, der Erkundung eines neuen Themenbereiches oder des nächsten Schrittes in der Karriere.

Stepper, S. 34

Was ist von der Methode zu halten? Ist es, so mein erster Verdacht, der nächste agile Hype, damit sich Angestellte weiter ausbeuten lassen oder ein sinnvoller Weg, selbständig und gleichzeitig begleitet die eigenen Fähigkeiten zu entwickeln? Weshalb überhaupt lassen sich Unternehmen darauf ein? Diese Circles sind schliesslich nicht gratis.

Bei den Mikrooekonomen könnt Ihr unsere Diskussion nachhören: https://open.spotify.com/episode/23KmWfM5zOEVsaqjcvXE05?si=a89c8f4b98544606

Viel Spass!

Superar Suisse braucht deine Unterstützung

Heute gibt es ausnahmsweise einen Aufruf in quasi eigener Sache. Mitgründerin Anna-Valentina Cenariu ist nicht nur Präsidentin bei den Vorbänkern, sondern auch Vorstandspräsidentin bei Superar Suisse. Superar Suisse braucht dringend finanzielle Unterstützung. Denn durch die Corona-Krise konnten keine Konzerte mehr stattfinden, die für eigenen Einnahmen hätten sorgen können. Du kannst Superar Suisse mit einer Spende unterstützen, damit die Organisation über den Sommer kommt: https://www.crowdify.net/en/project/future-with-music

Was macht Superar?

Superar ist eine europäische Initiative, die sich zum Ziel gesetzt hat, Strukturen zu etablieren, um Gesang, Instrumentalunterricht und Tanz im täglichen Leben von Kindern und Jugendlichen zu verankern. Superar nutzt die Möglichkeiten und positiven Begleiterscheinungen musikalisch-künstlerischer Förderung, um einen spürbaren Impuls in Richtung einer changengleichen Gesellschaft zu setzen. Superar Suisse macht als gemeinnütziger Verein qualitativ hochstehenden musikalischen Unterricht im Bereich Gesang und Orchester für alle Kinder und Jugendlichen möglich – unabhängig von ihrer Herkunft und ihren finanziellen und familiären Verhältnissen.

Im Zentrum des musikpädagogischen Ansatzes von Superar Suisse steht das gemeinsame kreative Lernen im Ensemble, wobei die fortgeschrittenen Kinder die jüngeren unterstützen. Dadurch fördert Superar Suisse die soziale Vernetzung durch musische Bildung. Der Einbezug von professionellen Künstlern als Superar Suisse-Tutoren gehört integral zum Ansatz von Superar Suisse. Regelmässige gemeinsame Konzertauftritte, sowohl in renommierten Sälen als auch an den Schulen der Kinder, sind als motivierende Lernziele für die Kinder zentrale Bestandteile von Superar Suisse. Superar Suisse beeinflusst über seine Aktivitäten das kulturelle Klima der Schulen positiv.

Superar wurde 2009 vom Wiener Konzerthaus, den Wiener Sängerknaben und der Caritas der Erzdiözese Wien als zentraleuropäisches Musikprojekt in Anlehnung an “El Sistema” aus Venezuela gegründet. Über die Jahre ist Superar sowohl in Österreich als auch in anderen Ländern stark gewachsen. Aktuell betreut Superar Kinder und Jugendliche an 14 Standorten in Österreich sowie an zehn Standorten in der Slowakei, der Schweiz, Liechtenstein, Rumänien und Bosnien.

Superar und Corona

Seit einem Jahr kann Superar pandemiebedingt wir keine Konzerte mehr durchführen und das Music Camp zusammen mit dem Lucerne Festival wurde nun auch für diesen Sommer zum zweiten Mal in Folge abgesagt. Damit kann der Verein seit über einem Jahr keine Eigeneinnahmen ausser den Vereinsmitgliedschaften mehr verbuchen oder weitere Fördergelder von Stiftungen generieren. Dies belastet die Liquidität existentiell. Die Mitarbeitenden können zum Teil Kurzarbeitsentschädigung beziehen, doch diese Gelder treffen verzögert ein und das Ziel ist, den Unterricht auch unter erschwerten Bedingungen durchzuführen. Für das kommenden Schuljahr 2021/22 sind gewisse finanzielle Mittel bereits gesprochen und Superar ist in Verhandlungen mit einem neuen Hauptsponsor. Die Chancen stehen sehr gut, jedoch nur, wenn Superar Suisse im Sommer noch existiert.

Wie Du helfen kannst

Damit Superar auch in Zukunft wertvollen Musikunterricht für über 400 Kinder und Jugendliche anbieten kann, braucht die Organisation dringend finanzielle Hilfe. Aufgeben ist für sie keine Option. Denn wie das spanische Wort «superar» (deutsch: etwas meistern, über sich hinauswachsen) schon verrät, möchten die Beteiligten diese finanzielle Krise meistern – mit deiner Unterstützung!

Was du tun kannst? Ganz einfach:

  • Auf Crowdify gehen: www.crowdify.net/zukunft-mit-musik
  • Auf den Button «Projekt boosten» drücken
  • Freien Betrag eingeben oder ein Goodie wählen
  • Name angeben und Zahlungsmittel wählen
  • Fertig – du hast Superar Suisse unterstützt

Und ganz wichtig: teilt diesen Beitrag mit Freunden, Bekannten, Grosseltern, Onkel und Tanten und, und, und…! Denn das Weiterverbreiten dieser Nachricht ist genau genauso wichtig!

Spende auf Crowdify: www.crowdify.net/zukunft-mit-musik
Teile auf Facebook: www.facebook.com/SuperarSuisse
Inspiriere auf Instagram: www.instagram.com/superar_suisse

Aya Jaff: Keine Angst vor Aktien

«Aktien sind nicht böse», meint Aya Jaff und hat deshalb ein Buch über die Börse geschrieben. Ihr Ziel ist es, jungen Menschen Angst vor der Börse zu nehmen. Das tut sie, indem sie über das, was dort geschieht, in leicht verständlicher Form aufklärt und Geschichten über wirtschaftliche Akteure erzählt. Gelingt ihr dies? Marco, Anna und Barbara besprechen Jaffs «Moneymakers. Wie du die Börse für dich entdecken kannst» in unserer nächsten Runde der Buchkritik.

Wer ist Aya Jaff?

Aya Jaff ist eine 24-jährige Studentin der Wirtschaftswissenschaften und Sinologie. Sie ist im Teenageralter als Mitgründerin und CTO des Börsenspiels «Tradity» für deutsche Schulen bekannt geworden. Als 15-Jährige ging sie mit einem Stipendium nach Kalifornien, um an der Draper University die Grundlagen des Business Development kennenzulernen. Inzwischen hat sie mehrere eigene Firmen gegründet und berät andere, die dies gerne tun möchten. Daher wird sie gerne gebucht als Rednerin für Themen wie Start-Up-Entwicklung, Frauen in technischen Berufen sowie Coding und Trading. Geboren im Irak, kam Jaff im Alter von einem Jahr mit ihren Eltern und der Schwester nach Nürnberg.

Hier stellt sie sich und ihr Buch bei Böhmermann vor:

Worum geht es bei den «Moneymakers»?

Das Buch ist nicht ganz so einfach zusammenzufassen, weil es aus einem Mash-Up verschiedener Elemente besteht. Da gibt es Informationsblöcke, in denen Grundprinzipien des Wirtschaftens und des unternehmerischen Denkens leicht verständlich erklärt werden. Dazu gehört auch im letzten Kapitel ein Werkzeugkasten von Apps und weiteren Informationen, die helfen, sich aktiv mit dem Börsengeschehen auseinanderzusetzen. Gleichzeitig geht es jedoch nicht nur um die Börse aus Anlegersicht, sondern um das «Mind-Set», das es braucht, um als Unternehmer oder Unternehmerin an der Börse erfolgreich zu landen. Deswegen gibt Jaff Einblicke in technologische Trends sowohl aus dem Silicon Valley wie auch aus China. Ebenso wie wir hat sie Kai-Fu Lees Buch über die AI Superpowers gelesen. Angereichert werden die Informationsteile durch zahlreiche Vignetten, in denen sie Persönlichkeiten vorstellt, die «Moneymaker» sind. Deren Geschichten haben sozusagen Vorbildcharakter und zeigen, wie man mit Wirtschaft und Geld umgehen kann.

«Mama didn’t raise no fool»

Aus meiner Sicht lassen sich Text und Person am besten mit einem Zitat von Jay-Z zusammenfassen, das Jaff selber in ihrem Buch bringt (S. 27). Sie ist ein Genie in Sachen Selbstvermarktung:

I sell ice in the winter,
I sell fire in hell,
I am a hustler baby,
I’ll sell water to a well.

Jay-Z, U don’t know, https://www.youtube.com/watch?v=TdAY2g39GdI

Doch genug der Vorrede. Hier könnt Ihr unsere Diskussion über ihr Buch hören:

https://mikrooekonomen.de/podcast/episode/mikrobuch015-geldscheffeln-fuer-anfaenger/

Barbara Bohr (@nachrichtenlos), 09. Juli 2020

Save the Date: 1. Klimakonferenz an der HSR in Rapperswil

Heute gibt es einmal eine Eventankündigung in eigener Sache:

Am 16. September findet an der Hochschule für Technik Rapperswil die 1. Klimakonferenz statt.

2_2018_power_to_gas_betanken
Schnappschuss von der Power-to-Methane-Anlage der HSR

Organisiert wird die Konferenz vom Klimacluster der HSR. Dieses bündelt das an der HSR vorhandene Wissen der einzelnen Institute und ermöglicht so eine intensive interdisziplinäre und praxisorientierte Zusammenarbeit zur Vermeidung und Bewältigung des Klimawandels.

Als Speaker werden meine Kollegen Markus Friedl, Susanne Kytzia, Igor Mojic, Henrik Nordborg und Dominik Siegrist klimarelevantes Arbeiten an der HSR vorstellen. Als Keynote Speaker haben wir Anton Gunzinger eingeladen, der uns zeigen wird, wie die Energiewende in der Schweiz gelingen kann. Die anschliessende Diskussion werde ich moderieren.

Mehr Informationen zur Anmeldung findet Ihr auf der Veranstaltungseite des Klimaclusters. Die ursprünglich für April geplante halbtägige Konferenz musste wegen der Corona-Restriktionen auf den Beginn des Herbstsemesters verschoben werden. Derzeit gehen wir davon aus, dass die Klimakonferenz wie geplant vor Ort unter Einhaltung der Hygiene- und Verhaltensregeln des BAG stattfinden wird.

Monopole im digitalen Kapitalismus

In der aktuellen Folge des MikroBuchs haben wir uns mit den Monopolisierungstrends der Digitalwirtschaft beschäftigt. Als Diskussionsgrundlage dienen uns Philipp Staabs Buch «Digitaler Kapitalismus. Markt und Herrschaft in der Ökonomie der Unknappheit» (2019) und Peter Thiels «From Zero to One. Wie Innovation unsere Gesellschaft rettet» (2014).

«Competition is for losers»

Wettbewerb gilt als Grundlage einer erfolgreichen Wirtschaft und gesellschaftlicher Wohlfahrt. Der Markt sorgt dafür, dass das rationale Streben der Akteure nach maximalem Gewinn zu einer effizienten Allokation der knappen Güter führt. Davon haben dann alle etwas, so die Theorie. Das Monopol als Abwesenheit von Wettbewerb wird deshalb in der klassischen Wirtschaftstheorie  – bis auf wenige Ausnahmen – verteufelt.

Peter Thiel hat in seinem Bestseller, der auf den Vorlesungsnotizen seines Studenten Blake Masters basiert, diese unkritische Huldigung des Wettbewerbs entzaubert. Denn Kapitalismus, so zitiert Thiel unter Rückgriff auf Schumpeter die klassische Theorie, basiert auf der Akkumulation von Kapital. Doch im perfekten Wettbewerb fallen sämtliche Gewinne dem Konkurrenzkampf zum Opfer (Thiel, S. 28). Wer als Unternehmen also erfolgreiche Gewinne einfahren möchte, sollte darauf achten, dass er alleine einen Markt besetzt. Solche Unternehmen sind kreative Monopolisten.

Jedes dieser Monopole ist einzigartig und Thiel skizziert mehrere Eigenschaften, die das Entstehen einer solchen Alleinstellung möglich machen: eine eigene Technologie, Netzwerkeffekte, Grössenvorteile und Markenbildung.

Thiel schrieb sein Buch als Manifest gegen Konformität im Unternehmertum. Nur wer es schafft, konträr zur landläufigen Meinung zu denken und zu handeln, ist in der Lage, ein erfolgreiches Monopolunternehmen aufzubauen und der Gesellschaft zu nutzen.

Vom digitalisierten Kapitalismus zum privatisierten Merkantilismus

7515

Thiels Querdenker-Buch ist zur Blaupause des digitalisierten Kapitalismus geworden. Die Überschrift zu seinem Beitrag in der Washington Post, in dem er sein Buch werbewirksam ankündigte, ist längst zum geflügelten Wort in Start-Up-Kreisen geworden: «Competition is for losers.». Die erfolgreichsten globalen Unternehmen scheinen seinem Mantra gläubig zu folgen: Die US-Unternehmen Google, Amazon, Facebook und Apple (GAFA) ebenso wie die chinesischen Firmen Baidu, Alibaba und Tencent (BAT). Und tatsächlich beherrschen diese Firmen inzwischen nicht nur ganze Märkte als klassische Monopolisten, sondern sie haben diese Märkte erst geschaffen. Sie sind ihre Eigentümer geworden. Das ist jedenfalls die Kernthese von Philipps Staabs neuem Buch «Digitaler Kapitalismus. Markt und Herrschaft in der Ökonomie der Unknappheit». Je näher das Angebot einer dieser Metaplattformen dem Angebot des Gesamtmarkts kommt, desto unwahrscheinlicher ist es, dass Kunden sie wieder verlassen (Staab, S. 185). Staab zeichnet die Phasen nach, die diese neue Form des Kapitalismus erst möglich gemacht haben:

  1. Liberalisierung der Märkte
  2. Wachstum im Mobilfunkbereich
  3. Aufstieg des Internets als Basistechnologie mobiler Kommunikation

Die Globalisierung bezeichnet Staab dabei als Steigbügelhalter dieser Entwicklung. Staab untersucht detailliert die merkantilistischen Mechanismen, die diese Unternehmen entwickelt haben, um ihre Monopolstellung zu zementieren:

  • Informationskontrolle
  • Zugangskontrolle
  • Preiskontrolle
  • Leistungskontrolle (Staab, S. 173).

Gute Monopolisten, schlechte Monopolisten

Im Gegensatz zu Thiel sieht Staab in diesen Monopolkonstellationen erhebliche Nachteile für die Gesellschaft. Er zeigt, wie Praktiken der Kundengewinnung und -bindung auf diesen Plattformen zu Bewertungs- und Überwachungsmechanismen werden, die in unser alltägliches Zusammenleben vordringen, die Ungleichheit vergrößern und überhaupt den Begriff dessen, was mit «sozial» gemeint sein könnte, auf den Kopf stellen.

Gibt es eine Möglichkeit, dieser Vorherrschaft des digitalen Kapitalismus etwas entgegenzusetzen? Wir haben im Podcast bei den Mikroökonomen ausgiebig über diese Frage diskutiert. Hier könnt Ihr unsere Debatte nachhören und Euch an der Diskussion beteiligen.

 

 

Mehr Nachhaltigkeit dank Parallelwährungen: Kann das funktionieren?

Im Rahmen der Reihe „Neue Wirtschaftsmodelle“ lud der Kulturpark Zürich am 31.10. zu einer Informations- und Diskussionsveranstaltung zum Thema „Nachhaltiges Geld für eine nachhaltige Zukunft“ ein. Konkret ging es darum, ob und wie Parallelwährungen helfen können, die Nachhaltigkeitsziele der UN zu finanzieren.

Die Nachhaltigkeitsziele der UN stehen für einen grossen, globalen Konsens. Unser derzeitiges Wirtschafts- und Gesellschaftssystem weist zahlreiche Dysfunktionen auf, die bis zum Jahr 2030 behoben werden müssen. Dennoch bleiben zwei Kernthemen aussen vor: Zum einen, wie das Erreichen der Ziele finanziert werden soll. Zum anderen bleibt das Geldsystem als tragendes Element unseres gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Miteinanders völlig unerwähnt. Das klingt absurd, meint der Veranstalter, denn mit Geld wird die ganze Wirtschaft betrieben, in Geld werden alle wichtigen Wirtschaftsindikatoren gemessen und am Geld entscheidet sich, was möglich ist und was nicht. 

pic-288x277

Für den ersten Redner, Stefan Brunnhuber, Psychiater und Ökonom, besteht kein Zweifel: Eine globale Parallelwährung kann Abhilfe schaffen. Sich zur Erreichung der Zeile alleine auf den Markt zu verlassen, helfe wenig, da 2/3 der SDGs sich auf Allgemeingüter beziehen, war seine Ausgangsthese. Das derzeitige Finanzsystem bezeichnet er als entropischen Sektor, der weitgehend mit sich und der Beseitigung der von ihm angerichteten Schäden beschäftigt sei. Er schlägt deshalb vor, optional eine zusätzliche globale Parallelwährung einzuführen, die nur einen Verwendungszweck kennt: die Erreichung der Nachhaltigskeitsziele. Diese Parallelwährung ist eine rein digitale Währung, die zusätzliche zweckgebundene Liquidität schafft. Die Zweckgebundenheit wird via Smart Contracts sichergestellt. Das Monitoring der Transaktionen soll der UN obliegen. Mit dieser zusätzlichen Währung möchte er vor allem institutionelle Anleger anlocken, die nicht nur langfristig und regelmässig Gewinne für ihre Zielgruppen erwirtschaften wollen, sondern ein immer grösseres Interesse daran haben, ihre risikoreichen, C02-lastigen Assets loszuwerden.

 

Das klingt nach intellektuellem Höhenflug, dem der Nachweis der Umsetzbarkeit noch fehlt. Den lieferte Claudio Gisler, Marketing- und Produktchef der Basler WIR-Bank. Er stellte in seinem Referat die bestens bekannte Parallelwährung WIR vor, die seit 1934 in der Schweiz im Umlauf und an den Schweizer Franken gekoppelt ist. Die Bank wurde in den Zeiten der Weltwirtschaftskrise als Genossenschaft gegründet, damit sich Schweizer Unternehmen solidarisch mit Liquidität versorgen konnten. So blieb der WIR in der Schweizer Wirtschaft und kurbelte sie an. Gisler bezeichnete den WIR als Schmiermittel, das gut funktioniert, weil alle Teilnehmenden einen klaren Vorteil von seiner Nutzung haben. Hauptmerkmal des WIR ist die Zinsfreiheit. Die Guthaben werden nicht verzinst, damit das Geld schnell wieder in Umlauf kommt. Früher musste sogar eine Gebühr für Guthaben gezahlt werden. Heute muss sich die Mittelstandsbank Neues einfallen lassen, denn die Schweizer Nationalbank kopiert mit ihrer Zinspolitik die ursprüngliche Geschäftsidee der WIR-Bank. Angesichts schrumpfender Umsätze im WIR-System schlug er vor, ob die Bank nicht einen Green Coin einführen solle. Die Überlegungen sind aber nicht abgeschlossen.

Domagoj Arapovic beurteilte die Idee der Parallelwährungen aus makroökonomischer Sicht. Er ist Senior Economist bei der Raiffeisenbank. Er machte gleich zu Beginn klar, dass das Finanzsystem überhaupt nicht nachhaltig ist. Das führt er vor allem auf die impliziten Staatsgarantien zurück, durch die die Banken zu hohe Risiken eingehen würden. Das Geldsystem, wie es heute existiere, werde zu oft als naturgegeben hingenommen. In diesem Bereich sei mehr Forschung notwendig, um Alternativen zu entwickeln. Dennoch zeigte er sich als Ökonom gegenüber einem grossflächigen Einsatz von Parallelwährungen eher skeptisch, da diese zu Effizienzverlusten und möglichen Inflationsrisiken führen könnten. Ihm war es an dieser Stelle wichtig, dass er damit nicht für die ganze Raiffeisenbank sprechen könne, sondern für sich als Privatperson. Er plädierte stattdessen für mehr finanzielle Anreize und Lenkungsabgaben zur Stärkung der Nachhaltigkeit. Das sei auch für die Bürger und Bürgerinnen leichter verständlich. Und ganz ohne Einschränkung werde es sowieso nicht gehen, schloss er.

So divers wie die Redner, zeigten sich auch die Fragen und Beiträge aus dem Publikum. Leider entfernte sich die Diskussion recht schnell von den Redebeiträgen, da es doch in zahlreichen Wortmeldungen mehr um ideologische Selbstdarstellung, als um die Suche nach Dialog ging. Die zahlreichen Thesen, Kommentare und Appelle aus dem Publikum zeigten mir aber auch, wie zersplittert die Gruppe der Menschen ist, die sich für eine grundlegende Überprüfung unseres Geldsystems interessiert. Das ist keine Gemeinschaft.

Dabei wäre es so wichtig, zunächst einmal eine gemeinsame Wertebasis zu schaffen, die eine engere und regelmässige Zusammenarbeit dieser Menschen ermöglicht. Denn Einzelmasken, unabhängig davon, wie überzeugend oder abgefahren ihre Ideen sind, werden das System nicht ändern können. Es wäre begrüssenswert, wenn der Kulturpark als Veranstalter und Jens Martignoni als Organisator und Moderator des Abends Raum und Zeit schaffen würden, dass sich eine Arbeitsgruppe „Nachhaltiges Geld“ in Zürich etablieren könnte, die regelmässig zusammenkommt und das Thema vorantreibt. Der Anlass war ein guter Einstieg. Wir Vorbänker stellen unser Forum auch gerne für Themen rund ums Geldsystem zur Verfügung und würden mitarbeiten.

Und vielleicht schaffen wir es dann auch, dass solche Podiumsdiskussionen nicht mehr nur männlich besetzt sind. Es geht eben nie nur um Geld allein.

Hier gibt es einen Link zur Aufzeichnung des Abends: https://www.kulturpark.ch/neuewirtschaft

Herzlichen Dank an Jens Martignoni, der mir eine Freikarte für die Abendveranstaltung zur Verfügung gestellt hat.

Barbara Bohr (@nachrichtenlos), 07. November 2019

 

 

9 Massnahmen für ein klimafreundliches Finanzsystem

Image

Finance Watch hat neun Forderungen vorgestellt, die wir von Unternehmen und Politik verlangen sollen. Die Forderungen bilden das Kernstück einer grundlegenden Finanzreform. Die ist dringend nötig, denn trotz aller Lippenbekenntnisse unterstützen Kreditinstitute weiterhin Investitionen in fossile Brennstoffe. Nur ein aktuelles Beispiel, um den immensen Handlungsbedarf aufzuzeigen. So wird die Credit Suisse, die stolz von sich behauptet, ihren Betrieb CO2-neutral zu führen, den Börsengang von Aramco begleiten. Saudi Aramco ist die grösste Erdölfördergesellschaft der Welt.

Das sind die Forderungen:

  1. Um Finanzströme klimafreundlich umzulenken, braucht es eine klare Deklarationspflicht über „saubere“ und „schmutzige“ Anlagen. Sprich, es braucht eine verbindliche Taxonomie.
  2. Unternehmen müssen dazu gebracht werden, über ihre sozialen und ökologischen Auswirkungen zu berichten. Das machen zwar viele in ihren Nachhaltigkeitsberichten, allerdings oft mit viel Phantasie und wenig Vergleichsmöglichkeiten.
  3. Die Menschen sollen selber entscheiden, wohin ihr Geld fließt. Neben einem Informationsrecht beinhaltet diese Forderung das Recht, Gelder aus nicht gewünschten Investitionen abziehen zu können.
  4. Umweltbelastende Tätigkeiten sollen bestraft werden. Normen, Quoten und Steuern müssen umgesetzt werden, um schmutzige Anlagen teurer zu machen als nachhaltige Aktivitäten. Kurz: Externe Effekte müssen eingepreist werden.
  5. Keine Subventionen mehr für die fossile Wirtschaft. Auch der Staat muss hier deinvestieren.
  6. Finanzinstitute müssen ihre fossilen Risiken reduzieren. Der Wertverlust fossiler Ressourcen wird wahrscheinlich zu einer Finanzkrise führen (Platzen der Carbon Bubble). Diese kann nur verhindert werden, wenn Banken ihre Risiken reduzieren.
  7. Mehr öffentliche Mittel sollen in den Klimaschutz fliessen. Das braucht eine langfristige und koordinierte Planung.
  8. Die Kurzfristigkeit an den Finanzmärkten muss eingedämmt werden. Finanzanlagen dürfen nicht nur an ihrem Wertzuwachs für die Aktionäre oder andere Eigentümer gemessen werden, sondern müssen den langfristigen Nutzen für die Gesellschaft berücksichtigen.
  9. Diversifizierung des Finanzmarktes, damit die systemischen Risiken sehr grosser Finanzinstitute eingedämmt werden. Die Regierungen müssen ein regulatorisches Umfeld schaffen, in dem verschiedene Bankmodelle (öffentliche Banken, regionale Banken, ethische Banken) prosperieren können.

Diese Forderungen dienen also nicht nur dem Klima, sondern auch der Stabilität des Finanzmarktes insgesamt. Wenn das keine Win-Win-Situation ist.

Weitere Informationen findet Ihr auf der Seite von Finance Watch. Eine schöne Visualisierung der Forderungen könnt ihr hier runterladen.

Barbara Bohr (@nachrichtenlos), 17. September 2019

Grüne Banken sollen städtische Klimainitiativen finanzieren

Grüne Banken gibt es schon lange. Nun scheinen sie erneut auf dem Vormarsch zu sein, da vor allem Städte neue Möglichkeiten suchen, wichtige Vorhaben zur Verhinderung des Klimawandels und seiner Auswirkungen zu finanzieren.

Vorreiterrolle der Städte

Viele Städte haben erkannt, dass sie an vorderster Front der Klimaaktivitäten stehen müssen. Eine wachsende Anzahl von Städten hat bereits offiziell den Klimanotstand erklärt, darunter Krakau, London, Liverpool, Paris, New York und Sydney. Laut der Website der Cedamia (Climate Emergency Declaration and Mobilisation in Action) haben inzwischen mehr als 888 Gerichtsbarkeiten in 18 Ländern mit 161 Millionen Einwohnern einen solchen Notfall erklärt. In der Schweiz engagieren sich ebenfalls viele Städte dafür, die CO2-Emissionen bis spätestens 2050 (teils auch früher) auf Netto Null zu senken. Teils laufen diese Aktionen über die Ausrufung des Klimanotstands, teil aber auch über politische Absichtserklärungen, die konkrete Handlungsfelder im Rahmen der eigenen Kompetenzen beinhalten (s. das Beispiel Zürich)

Public Green Banks

Das alles kostet. Wie das Magazin Smart Cities World berichtet, können grüne Banken eine Vorreiterrolle in der Finanzierung der Vorhaben spielen. Dabei geht es nicht alleine um private Finanzierung, sondern auch um die Etablierung öffentlicher Banken, die die grünen Projekte vorantreiben können. In der Schweiz könnten beispielsweise die Kantonalbanken diese Rolle mit übernehmen, da wir bereits öffentliche Banken besitzen und sich so auch endlich – im Sinne des Gemeinwohls – wesentlich von den privaten Banken differenzieren könnten.

In vielen anderen Ländern fehlt es an öffentlichen Banken, die Infrastruktur und andere gemeinwohlorientierte Investitionen mitfinanzieren können. Am 2. Juli unterzeichnete etwa der Bürgermeister von Washington DC, Muriel Bowser, den Green Finance Authority Establishment Act des Distrikts. Dadurch wurde Washington DC zur ersten Stadt der USA, die eine von der Stadtverwaltung finanzierte grüne Bank gegründet hat. Die Bank wird mit 105 Millionen Dollar an öffentlichen Mitteln kapitalisiert. Das ist zunächst nur als symbolischer Akt anzusehen, Jay Wilson, Programmmanager der DC Green Bank, vom Department of Energy & Environment (DOEE), sagte gegenüber SmartCitiesWorld, dass die Stadt mehr als 2 Milliarden Dollar benötigen würde, um ihre grünen Ziele zu erreichen.

Derzeit gibt es US-weit 14 solcher grüner öffentlicher Banken. Typischerweise sind Green Banks in den USA öffentliche oder quasi-öffentliche Institutionen, die in Zusammenarbeit mit privaten Kreditgebern (also sogenannte Public private partnerships) grüne Infrastrukturprojekte finanzieren.

Eine Green Cities Development Bank

Die Option, eine eigene öffentliche Bank für grüne Vorhaben zu gründen, ist vor allem für finanzstarke Städte realistisch. Für Städte mit geringem finanziellen Spielraum bleibt diese Option ein Traum. Damit auch solche Städte besseren Zugang zu Kapital für ihre grünen Investitionen erhalten, haben bereits im April die Gruppe „C40 Cities Climate Leadership“ und das Overseas Development Institute (ODI) ein Working Paper veröffentlicht.

In diesem schlagen sie die Gründung einer internationalen Finanzinstitution speziell zur Finanzierung städtischer Klimaprojekte vor. Diesen Vorschlag unterstützt beispielsweise Anies Baswedan, Gouverneur von Jakarta.

„Für Städte im globalen Süden mit begrenzten Ressourcen und konkurrierenden Prioritäten kann eine Green Cities Development Bank uns helfen, Programme für nachhaltige Entwicklung zu beschleunigen, die wir sonst nicht hätten unterstützen können.“

Das Zitat macht exemplarisch deutlich, dass der Wille, in grüne Projekte zu investieren, vorhanden ist, es aber gerade in ärmeren Städten viele konkurrierende Prioritäten gibt, so dass grüne Projekte oft das Nachsehen haben.

Hier ist der Link zum gesamten White Paper: Financing the sustainable urban future

Braucht es diese neuen Institutionen überhaupt?

Das Anliegen ist gut nachvollziehbar und klingt zunächst überzeugend. Nun gibt es bereits reichlich Entwicklungs- und Förderbanken. Da gibt es die Europäische Investitionsbank in Luxemburg, da gibt es die KfW in Deutschland. China hat seine China Development Bank, mit einem starken Fokus auf städtischen Infrastrukturen. Als Gegenmodell zur Weltbank gibt es seit einigen Jahren die New Development Bank. Die Liste bereits bestehender und funktionierender Institutionen ist lang.

Wäre es nicht besser, wenn diese bereits bestehenden Banken spezielle Förderprogramme für städtische Klimainitiativen schaffen würden? Wozu sonst wurde denn auch der Green Climate Fonds geschaffen? Vielleicht geht es auch eher darum, dass Städten ein leichterer und unmittelbarer Zugang zu diesen Institutionen gewährt werden muss. Dann bräuchte es nicht noch eine weitere Entwicklungsbank für klimafreundliche Städte. Oder – noch besser – wenn Städte einen besseren Zugang zu den nationalen Steuermitteln erhalten würden.

Ein Herz für Zahlen?!

Die aktuelle MONETA-Ausgabe beschäftigt sich mit dem Thema „Messen und Bewerten“. Anna und ich haben haben uns beide an der Ausgabe beteiligt. Im Artikel „Kann man das Gute messen?“ gebe ich einen Überblick über aktuelle Trends, wie die soziale und ökologische Wirksamkeit von Finanzanlagen gemessen werden kann. Anna zeigt auf, wie die Alternative Bank mit dem Thema umgeht.

Hier geht’s zum Artikel: https://www.moneta.ch/laesst-sich-das-gute-messen

Illustration: Claudine Etter (Copyright: ABS Schweiz)

Barbara Bohr (@nachrichtenlos), 21. Juni 2019

Anna ist neu im Verwaltungsrat der ABS

Anna-Valentina Cenariu, Gründungsmitglied der Vorbänker und Vereinspräsidentin, ist neu im Verwaltungsrat der Alternativen Bank Schweiz. Sie wurde am letzten Freitag als Vertreterin der Mitarbeitenden für eine Amtsdauer von drei Jahren gewählt. Anna leitet bei der Bank die Fachstelle Nachhaltigkeit.

8ed3ae9d-1353-4b69-adbc-8430a17ab630
bei der Generalversammlung der ABS in Aarau

Wir gratulieren und wünschen viel Erfolg bei der neuen Aufgabe!

Barbara Bohr (@nachrichtenlos), 12. Mai 2019