Agilität
Ursprünglich als Ansatz zur Effizienzsteigerung bei der Softwareentwicklung und im Management von IT-Projekten entwickelt und erfolgreich zur Anwendung gebracht, ist Agilität oder auch Agility aktuell ein starker Trend in Management- und Organisationskreisen geworden.
Dabei handelt es sich um eine Art der Organisationsform und/oder die damit einhergehende Anpassung der Managementmethode(n), die den modernen Anforderungen der mit der digitalen Transformation einhergehenden, hohen Veränderungsgeschwindigkeit in den Bereichen Technologie, Wirtschaft und Gesellschaft gerecht werden soll. In diesem Zusammenhang werden Veränderungen als etwas Äusseres, ähnlich wie Umwelteinflüsse, wahrgenommen, denen mit dem Prinzip der Evolutionstheorie „Überlebensfähig ist nicht der Stärkste, sondern der Anpassungsfähigste“ begegnet wird.
Agilität kann in diesem Zusammenhang mit geistiger Beweglichkeit oder auch mit einer beweglichen geistigen Anpassungsfähigkeit „übersetzt“ werden. In Workshops zum Thema „Agiles Management“ ist dabei immer wieder vom sogenannten „agile Mindset“ die Rede. Gemeint ist dabei nicht eine Geisteshaltung, sondern eine Fokussierung auf eine nicht notwendigerweise vernunft-orientierte Methode der Entscheidungsfindung. Um das näher zu verstehen, wird oftmals ein kurzer Ausflug in einen Teilbereich der Neurowissenschaften und einen bestimmten Aufbau des menschlichen Gehirns und dessen Funktionen unternommen. Dabei wird dann ein Modell der Hirnaktivitäten herangezogen, das zwischen Emotionen und Rationalität oder Intellekt in Abhängigkeit davon unterschieden wird, wo diese im Gehirn stattfinden. Die Entstehung von Emotionen wird dabei im limbischen System verortet, während der Intellekt dem Grosshirn, genauer dem Frontallappen, zugeordnet wird. Es ist nur so, dass die Erkenntnisse der neurologischen Forschung eine so eindeutige Zuordnung von Emotion und vor allem des Intellektes mittlerweile nicht mehr oder nur noch sehr bedingt stützen. Die Erkenntnisse dieser Wissenschaft sind einem enormen Wandel unterworfen, so dass es mithin nicht ungefährlich sein kann, sich bei der Entwicklung von Managementkonzepten auf einen momentanen Forschungsstand zu berufen. Allerdings ist es nicht falsch, den sogenannten Mandelkern, der Teil des limbischen Systems ist und der für die Furcht resp. die Angstreaktionen zuständig ist, in die Betrachtungen zur Agilität miteinzubeziehen, da die angesprochene Veränderungsgeschwindigkeit in unserer Gesellschaft bei manchen Personen Furcht auslösen kann.
Dessen ungeachtet ist der Grund, neurologische Forschungserkenntnisse für die Zwecke der agilen Managementmethode heranzuziehen, folgender Gedanke: Die sich immer weiter beschleunigende technologische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungsgeschwindigkeit scheint die Geschwindigkeit der hergebrachten Organisationsformen von Unternehmen und der Entscheidungsfindung ihres Managements an ihre Grenzen zu bringen, so dass neue Arten der Organisation mit neuen, schnelleren Wegen der Entscheidungsfindung gefunden werden müssen. Um die nötige Erhöhung der Geschwindigkeit der Entscheidungsfindung zu bewerkstelligen, wird auf einen bestimmten Stand der Erkenntnisse der Neurowissenschaften rekurriert. Hier wird die Langsamkeit in der Grosshirnrinde und Schnelligkeit im limbischen System verortet. Als Konsequenz heisst das dann oftmals, dass die klassischen intellektuellen Fähigkeiten im Zuge der agilen Transformation immer weniger Relevanz haben und zu Gunsten von Entscheidungen nach dem Bauchgefühl oder dem Instinkt von Vorteil sind.
Dies bedeutet, dass rasche Entscheidungen, die allenfalls korrigiert werden müssen, solchen, die eine Zeit in Anspruch nehmende Güterabwägung vornehmen, bevorzugt werden. Dies führt im Weiteren dazu, dass Managemententscheide mit einer im Voraus in Kauf genommenen aber nicht abschätzbaren Fehleranfälligkeit daherkommen. Dies mag bei der Entwicklung von Software, wo diese Methode ihren Ursprung hat, sowie im IT-Projektmangement ein durchaus valabler Ansatz sein. Ob dies aber aber auch für die Organisation und das Management eines Unternehmens gilt, dürfte fraglich sein.
Intelligenz
Die klassische Definition von Intelligenz nach William Stern bezeichnet Intelligenz als die Anpassungsfähigkeit an unbekannte Situationen. Sie umfasst gemäss modernem Verständnis Vorgänge wie Problemlösung, Entscheidungsfindung, abstraktes Denken und Repräsentation. Sie bezeichnet damit die Fähigkeit der Lösung neuer Probleme unter Anwendung höherer mentaler Prozesse.
Eine Erweiterung hat der Intelligenzbegriff durch die Einführung der sogenannten emotionalen Intelligenz erfahren. Er beschreibt die Fähigkeit, eigene und fremde Emotionen richtig zu erkennen, zu interpretieren und auch zu beeinflussen. Da auch dieser Begriff eine Erkenntnis zum Gegenstand hat und somit reflexiv ist, stellt die emotionale Intelligenz wie bereits angedeutet keinen Gegensatz zum klassischen Intelligenzbegriff dar, sondern ist als eine Ergänzung desselben zu verstehen, die neben den kognitiven und akademischen Fähigkeiten auch zwischenmenschlich-emotionale Fähigkeiten mit einbezieht. Die Nähe der emotionalen Intelligenz zur Zwischenmenschlichkeit lässt sie beinahe mit dem Begriff der sozialen Intelligenz übereinstimmen. Diese soziale Intelligenz stellt eine Kombination von Fähigkeiten dar, die bei der Kommunikation und im Umgang mit den Mitmenschen deren Standpunkt und Bedürfnisse mit einbezieht und die Funktion einer Realitätskontrolle einnimmt. Dadurch ermöglicht sie es letztlich effektive Handlung zu vollziehen.
Im Kontext des von der Theorie der agilen Organisation und der digitalen Transformation angewandten Erkenntnisstands der neurologischen Forschung enthält Intelligenz immer ein Element des Grosshirns. Wenn auch teilweise Funktionen des limbischen Systems mitwirken, so ist der wesentlichste Aspekt von Intelligenz in der Regel im Grosshirn zu finden. Im Umkehrschluss und ungeachtet des sich bereits wieder veränderten Forschungsstandes in den Neurowissenschaften bedeutet dies, dass Intelligenz innerhalb der Theorie der agilen Organisation, falls überhaupt, nur eine untergeordnete Rolle spielen kann.
Ethik
Von der Ethik als praktischer Philosophie und als Nachdenken über Moral wird im Zusammenhang mit Unternehmensführung und -organisation erwartet, dass sie dazu führt, dass Entscheidungsträger ihr Gewissen befragen und anschliessend ethisch vertretbare Entscheidungen treffen. Dabei ist es primär nicht relevant, auf welche Moral, auf welches Welt- und Menschenbild man sich dabei stützt. Je nach Stakeholder resp. deren Interessen wird jedoch die Annahme eines bestimmten Welt- und Menschenbildes erwartet.
Die Schwierigkeit, die sich hierbei für die Unternehmensführung ergibt ist, dass sie nicht für alle Stakeholder ein bestimmtes Welt- und Menschenbild an- und somit einnehmen kann. Dies hat in der Vergangenheit dazu geführt, dass jener Stakeholder bevorzugt wurde, von dessen Verhalten man das Überleben des Unternehmens als abhängig sah: dem Shareholder. Für die Unternehmensführung von an einer Börse kotierten Unternehmen bedeutet(e) diese Wahl auch die grösstmögliche Gewinnbeteiligung bzw. den grösstmöglichen Bonus.
Ungeachtet der Wahl des wichtigsten Stakeholders sind ethische Managemententscheide grundsätzlich das Resultat eines Reflexionsprozesses, bei dem Güterabwägung und allenfalls auch Gewissenserforschung eine Rolle spielt. Sie stehen also wiederum im Zusammenhang mit dem Intellekt. Einzig ein Moralkodex, der als „gut“ definiert, was sich spontan und ohne jedes Nachdenken als gut und richtig anfühlt, der also dem Lustprinzip die höchste Autorität gibt, wäre von einer solchen Reflexion im Fällen der Entscheide ausgenommen.
Schlussfolgerung
Aus den obigen Abschnitten lässt sich Folgendes ableiten:
Digitale Transformation und damit einhergehende agile Organisation von Unternehmen wurde aus der partikularen Bereich der Softwareentwicklung und des IT-Projektmanagements entlehnt und versucht die dort erfolgreich eingesetzten Prinzipien auf die Unternehmensorganisation und -führung anzuwenden.
Um den als evolutionäre „Umwelteinflüsse“ verstandenen Anforderungen des digitalen Zeitalters und deren hoher Veränderungsgeschwindigkeit gerecht zu werden, wird dabei vermehrt auf rasche Entscheidungsfindung aus dem Bauch heraus und weniger auf die verhältnismässig langsamere Tätigkeit des Intellekts gesetzt. Auf diese Weise wird auf den Faktor Intelligenz beim Treffen solcher Entscheidungen zu Gunsten einer rascheren Entscheidungsfindung verzichtet, wobei eine potentiell erhöhte Fehlerquote zu grossen Teilen in Kauf genommen wird.
Die Auswirkungen auf die Ethik solcher Entscheidungen sind ähnlich gelagert, denn der weitgehende Verzicht auf den Intellekt und somit die Intelligenz lässt eine Ethik für Entscheidungen innerhalb der agilen Organisationsform und Managementmethode nur noch dann zu, wenn das Welt- und Menschenbild ein rein Biologisches ist und der Mensch dabei auf die Aspekte seiner Triebe und Instinkte reduziert wird.
Klassische Pflicht- oder Wertethik bzw. davon gelenkte menschliche Entscheidungen können in einem solchermassen agil transformierten Unternehmen nicht mehr erwartet werden. Ob dies in Zukunft wirklich so der Fall sein wird, hängt unter anderem davon ab, wie man sich von der gewählten Sicht auf die Veränderungen des digitalen Zeitalters als quasi-evolutionärer Naturprozess lösen kann und beginnt, diese Veränderungen aktiv zu lenken oder auch zu bremsen, anstatt sie als beinahe gottgegeben hinzunehmen.
Gastbeitrag von Claude Del Don, Legal Reporting Specialist bei Julius Bär Zürich, 20. August 2021
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