Working out Loud: nur laut oder auch Workout?

Bei einer ü50-Geburtstagsparty in Deutschland bin ich vor kurzem über diesen Begriff Working out Loud (kurz WOL) gestolpert. Denn worüber redet man zunächst mit ehemaligen Kollegen und Kolleginnen, wenn man sich nach langer Zeit erstmalig wiedersieht? Über die Arbeit.

12 Wochen im Zirkeltraining

Ich bin immer neugierig, was es denn andernorts so an Trends im Trainings- und Weiterbildungsbereich gibt. Denn die konservative Schweiz braucht meist etwas länger, bis sie sich auf Neues einlässt. Ein ehemaliger Kollege erzählte mir auf besagter Dinner Party, dass sie im Unternehmen mit «Working-Out-Loud-Circles» arbeiten würden. Leute treffen sich 12 Wochen lang, um ihre eigenen Lernziele zu verfolgen und profitieren gleichzeitig von den Ideen und dem Wissen der anderen.

Dahinter steht aus Firmensicht die Vorstellung, das interne Wissensmanagement flexibel und selbstorganisiert zu optimieren. Aus Sicht der Angestellten bietet die Methode eine Möglichkeit, über eine Teilnahme an diesen Circles die eigene Selbstwirksamkeit zu stärken. Dies geschieht dadurch, dass die Zufriedenheit im Beruf über selbstorganisierte Lernerfolge gesteigert wird. Working out loud, kurz WOL, ist also eine Selbstlernmethode. Die Circles übernehmen dabei die Funktion einer Intervision bzw. eines Peer Coaching. Das Ganze, so mein Verständnis, funktioniert ein wenig wie die Weight Watchers. Es geht zwar auch alleine, aber mit der Unterstützung einer Gruppe und eines Coaches geht es besser.

Wofür steht die Idee?

Ursprünglich stammt der Begriff “Working out loud” vom Blogger Bryce Williams. Er entwarf die Idee in einem Blogpost von 2010. Was meinte er mit “Working out loud”?

Die Bezeichnung „Working Out Loud“ (Kurzform: WOL) spielt mit dem englischen Begriff „work out“, was im Deutschen „Training“, „Sporttreiben“ oder auch „Erfolg haben“ bedeutet. Gleichzeitig steckt auch das Wort „loud“ mit drinnen, da es vor allem auch darum geht, die Erfolge der eigenen Arbeit für andere sichtbar und damit nutzbar zu machen.

https://www.buero-kaizen.de/wol-working-out-loud

Weiterentwicklung durch John Stepper

Inhaltlich wurde die Idee von John Stepper seit 2015 konzeptionell weiterentwickelt. Sein Buch Working out loud. Wie Sie Ihre Selbstwirksamkeit stärken und Ihre Karriere und Ihr Leben nach eigenen Vorstellungen gestalten ist 2020 auf Deutsch erschienen. Er hat die Ursprungsidee so gestaltet, dass sie nicht mehr nur dafür steht, die eigene Arbeit mittels Social Tools sichtbar zu machen, sondern eine eigenständige Denkweise begründen soll. Diese besteht aus fünf Elementen:

  • Zielgerichtetes Entdecken
  • Beziehungen
  • Grosszügigkeit
  • Sichtbare Arbeit
  • Wachstumsorientiertes Denken

In diesem Sinn ist WOL…

eine Methode zum Aufbau von Beziehungen, die einem in irgendeiner Weise helfen können – sei es beim Erreichen eines, Ziels, bei der Entwicklung einer Fertigkeit, der Erkundung eines neuen Themenbereiches oder des nächsten Schrittes in der Karriere.

Stepper, S. 34

Was ist von der Methode zu halten? Ist es, so mein erster Verdacht, der nächste agile Hype, damit sich Angestellte weiter ausbeuten lassen oder ein sinnvoller Weg, selbständig und gleichzeitig begleitet die eigenen Fähigkeiten zu entwickeln? Weshalb überhaupt lassen sich Unternehmen darauf ein? Diese Circles sind schliesslich nicht gratis.

Bei den Mikrooekonomen könnt Ihr unsere Diskussion nachhören: https://open.spotify.com/episode/23KmWfM5zOEVsaqjcvXE05?si=a89c8f4b98544606

Viel Spass!

Wie Frauen arm gemacht werden

Eine Geschichte von Unterdrückung und Enteignung

Im letzten MikroBuch besprachen Anna, Marco und Barbara das Buch «Das weibliche Kapital.» (Hanser-Verlag, 2020). Es stammt von Linda Scott, die emeritierte Professorin für Entrepreneurship und Innovation an der Universität Oxford ist. Ziel des Buches ist, das Potenzial weiblicher Wirtschaftsaktivitäten – Scott prägt dafür den Begriff der «XX-Economy» –  aufzuzeigen. Denn Gleichberechtigung bringt Wohlstand.

Wer das Buch zur Hand nimmt, ahnt schnell, dass sich in ihm viele bekannte Geschichten finden. Denn es ist allgemein bekannt, dass Männer seit Jahrtausenden die wirtschaftlichen Ressourcen kontrollieren und Frauen in ihren wirtschaftlichen Möglichkeiten unterdrücken. All Formen der Diskriminierung von Frauen als Wirtschaftssubjekte in geballter Form versammelt zu finden, ist dann aber doch eine sehr schmerzliche Lektüre. Wie meinte Marco im Chat kurz nach Beginn der Lektüre: «ein WTF nach dem anderen».

Fakten und Anekdoten

Linda Scott holt für die Darstellung der Faktenlage weit aus. Anhand zahlreicher empirischer Studien zeigt sie, woher diese Diskriminierung kommt und in welchen Facetten sie auftaucht. Denn je nach Region und Kultur nimmt die Diskriminierung andere Formen an. In einigen Teilen der Welt werden junge Frauen bereits dadurch von Schule und Weiterbildung ausgeschlossen, dass sie sich keine Monatsbinden leisten können. In anderen Teilen der Welt geht es darum, dass Frauen kein Eigentum erwerben oder ein Erbe antreten dürfen. Bei uns sind Gender Pay Gap und finanzielle Diskriminierung der Care-Tätigkeiten ein relevantes Thema. Scott reichert die anthropologischen und wirtschaftlichen Studien immer wieder durch persönliche Erfahrungen aus ihrer Feldforschung an.

Market feminism

Da es Scott darum geht, diese Formen der Diskriminierung zu überwinden, geht sie ausführlich auf mögliche Auswege aus dieser Situation ein. Ihr Hauptargument ist dabei, dass wirtschaftliche Aktivitäten von Frauen zum Wirtschaftswachstum beitragen und dadurch global helfen, Armut und Unterentwicklung abzubauen. Sie nennt das denn auch mal «market feminism».

Wie soll das gehen?

Im letzten Kapitel zeigt sie handlungsorientiert Lösungsmöglichkeiten auf den unterschiedlichen Ebenen politischer und wirtschaftlicher Einflussnahme auf. Als US-Amerikanerin widmet sich der erste Teil des Abschlusskapitels den Prioritäten, die sie in den USA ansetzen würde. Dazu gehören u.a. ein Schuldenerlass für Studiendarlehen an Frauen, universelle Kinderbetreuung oder eine Umgestaltung der Arbeitsverträge in Richtung Lohntransparenz. Sie geht aber auch darauf ein, was sich global in Wirtschafts- und Finanzpolitik ändern müsste, damit Frauen am wirtschaftlichen Leben gleichberechtigt teilhaben können. Einfach mal daran denken, dass es auch Frauen gibt, ist einer ihrer Tipps. Nicht zuletzt präsentiert sie auch eine Reihe von Vorschlägen, wie jedes Individuum dazu beitragen kann, dass sich die XX-Economy weiterentwickelt, sei es im eigenen Arbeitsumfeld oder im Konsumverhalten.

Diskussion

Linda Scott selbst fasst ihr Buch in folgendem Appell zusammen:

Die Ablösung dieser Ethik der Herrschaft durch eine Ethik des Teilens verlangt nichts weniger als einen Sprung in der sozialen Evolution unserer Spezies. Doch Beweglichkeit ist unsere größte Stärke. Wir schaffen das.

(Linda Scott. Das weibliche Kapital, Hanser, S. 350f.).

Obwohl Barbara einige Bedenken zu den Lösungsvorschlägen anbrachte, weil der bezahlten Arbeit bei der Lösung des Problems ein überhöhter Wert zugemessen wird, waren wir uns selten so einig: Ein lesenswertes, konstruktives Buch!

Hier könnt Ihr unsere Diskussion nachhören:

https://open.spotify.com/embed/episode/0Xtkk8k4bjsrB4UEvoa4uH

Agile Organisation, Intelligenz und Ethik

Agilität

Ursprünglich als Ansatz zur Effizienzsteigerung bei der Softwareentwicklung und im Management von IT-Projekten entwickelt und erfolgreich zur Anwendung gebracht, ist Agilität oder auch Agility aktuell ein starker Trend in Management- und Organisationskreisen geworden.

Dabei handelt es sich um eine Art der Organisationsform und/oder die damit einhergehende Anpassung der Managementmethode(n), die den modernen Anforderungen der mit der digitalen Transformation einhergehenden, hohen Veränderungsgeschwindigkeit in den Bereichen Technologie, Wirtschaft und Gesellschaft gerecht werden soll. In diesem Zusammenhang werden Veränderungen als etwas Äusseres, ähnlich wie Umwelteinflüsse, wahrgenommen, denen mit dem Prinzip der Evolutionstheorie „Überlebensfähig ist nicht der Stärkste, sondern der Anpassungsfähigste“ begegnet wird.

Agilität kann in diesem Zusammenhang mit geistiger Beweglichkeit oder auch mit einer beweglichen geistigen Anpassungsfähigkeit „übersetzt“ werden. In Workshops zum Thema „Agiles Management“ ist dabei immer wieder vom sogenannten „agile Mindset“ die Rede. Gemeint ist dabei nicht eine Geisteshaltung, sondern eine Fokussierung auf eine nicht notwendigerweise vernunft-orientierte Methode der Entscheidungsfindung. Um das näher zu verstehen, wird oftmals ein kurzer Ausflug in einen Teilbereich der Neurowissenschaften und einen bestimmten Aufbau des menschlichen Gehirns und dessen Funktionen unternommen. Dabei wird dann ein Modell der Hirnaktivitäten herangezogen, das zwischen Emotionen und Rationalität oder Intellekt in Abhängigkeit davon unterschieden wird, wo diese im Gehirn stattfinden. Die Entstehung von Emotionen wird dabei im limbischen System verortet, während der Intellekt dem Grosshirn, genauer dem Frontallappen, zugeordnet wird. Es ist nur so, dass die Erkenntnisse der neurologischen Forschung eine so eindeutige Zuordnung von Emotion und vor allem des Intellektes mittlerweile nicht mehr oder nur noch sehr bedingt stützen. Die Erkenntnisse dieser Wissenschaft sind einem enormen Wandel unterworfen, so dass es mithin nicht ungefährlich sein kann, sich bei der Entwicklung von Managementkonzepten auf einen momentanen Forschungsstand zu berufen. Allerdings ist es nicht falsch, den sogenannten Mandelkern, der Teil des limbischen Systems ist und der für die Furcht resp. die Angstreaktionen zuständig ist, in die Betrachtungen zur Agilität miteinzubeziehen, da die angesprochene Veränderungsgeschwindigkeit in unserer Gesellschaft bei manchen Personen Furcht auslösen kann.

Dessen ungeachtet ist der Grund, neurologische Forschungserkenntnisse für die Zwecke der agilen Managementmethode heranzuziehen, folgender Gedanke: Die sich immer weiter beschleunigende technologische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungsgeschwindigkeit scheint die Geschwindigkeit der hergebrachten Organisationsformen von Unternehmen und der Entscheidungsfindung ihres Managements an ihre Grenzen zu bringen, so dass neue Arten der Organisation mit neuen, schnelleren Wegen der Entscheidungsfindung gefunden werden müssen. Um die nötige Erhöhung der Geschwindigkeit der Entscheidungsfindung zu bewerkstelligen, wird auf einen bestimmten Stand der Erkenntnisse der Neurowissenschaften rekurriert. Hier wird die Langsamkeit in der Grosshirnrinde und Schnelligkeit im limbischen System verortet. Als Konsequenz heisst das dann oftmals, dass die klassischen intellektuellen Fähigkeiten im Zuge der agilen Transformation immer weniger Relevanz haben und zu Gunsten von Entscheidungen nach dem Bauchgefühl oder dem Instinkt von Vorteil sind.

Dies bedeutet, dass rasche Entscheidungen, die allenfalls korrigiert werden müssen, solchen, die eine Zeit in Anspruch nehmende Güterabwägung vornehmen, bevorzugt werden. Dies führt im Weiteren dazu, dass Managemententscheide mit einer im Voraus in Kauf genommenen aber nicht abschätzbaren Fehleranfälligkeit daherkommen. Dies mag bei der Entwicklung von Software, wo diese Methode ihren Ursprung hat, sowie im IT-Projektmangement ein durchaus valabler Ansatz sein. Ob dies aber aber auch für die Organisation und das Management eines Unternehmens gilt, dürfte fraglich sein.

Intelligenz

Die klassische Definition von Intelligenz nach William Stern bezeichnet Intelligenz als die Anpassungsfähigkeit an unbekannte Situationen. Sie umfasst gemäss modernem Verständnis Vorgänge wie Problemlösung, Entscheidungsfindung, abstraktes Denken und Repräsentation. Sie bezeichnet damit die Fähigkeit der Lösung neuer Probleme unter Anwendung höherer mentaler Prozesse.

Eine Erweiterung hat der Intelligenzbegriff durch die Einführung der sogenannten emotionalen Intelligenz erfahren. Er beschreibt die Fähigkeit, eigene und fremde Emotionen richtig zu erkennen, zu interpretieren und auch zu beeinflussen. Da auch dieser Begriff eine Erkenntnis zum Gegenstand hat und somit reflexiv ist, stellt die emotionale Intelligenz wie bereits angedeutet keinen Gegensatz zum klassischen Intelligenzbegriff dar, sondern ist als eine Ergänzung desselben zu verstehen, die neben den kognitiven und akademischen Fähigkeiten auch zwischenmenschlich-emotionale Fähigkeiten mit einbezieht. Die Nähe der emotionalen Intelligenz zur Zwischenmenschlichkeit lässt sie beinahe mit dem Begriff der sozialen Intelligenz übereinstimmen. Diese soziale Intelligenz stellt eine Kombination von Fähigkeiten dar, die bei der Kommunikation und im Umgang mit den Mitmenschen deren Standpunkt und Bedürfnisse mit einbezieht und die Funktion einer Realitätskontrolle einnimmt. Dadurch ermöglicht sie es letztlich effektive Handlung zu vollziehen.

Im Kontext des von der Theorie der agilen Organisation und der digitalen Transformation angewandten Erkenntnisstands der neurologischen Forschung enthält Intelligenz immer ein Element des Grosshirns. Wenn auch teilweise Funktionen des limbischen Systems mitwirken, so ist der wesentlichste Aspekt von Intelligenz in der Regel im Grosshirn zu finden. Im Umkehrschluss und ungeachtet des sich bereits wieder veränderten Forschungsstandes in den Neurowissenschaften bedeutet dies, dass Intelligenz innerhalb der Theorie der agilen Organisation, falls überhaupt, nur eine untergeordnete Rolle spielen kann.

Ethik

Von der Ethik als praktischer Philosophie und als Nachdenken über Moral wird im Zusammenhang mit Unternehmensführung und -organisation erwartet, dass sie dazu führt, dass Entscheidungsträger ihr Gewissen befragen und anschliessend ethisch vertretbare Entscheidungen treffen. Dabei ist es primär nicht relevant, auf welche Moral, auf welches Welt- und Menschenbild man sich dabei stützt. Je nach Stakeholder resp. deren Interessen wird jedoch die Annahme eines bestimmten Welt- und Menschenbildes erwartet.

Die Schwierigkeit, die sich hierbei für die Unternehmensführung ergibt ist, dass sie nicht für alle Stakeholder ein bestimmtes Welt- und Menschenbild an- und somit einnehmen kann. Dies hat in der Vergangenheit dazu geführt, dass jener Stakeholder bevorzugt wurde, von dessen Verhalten man das Überleben des Unternehmens als abhängig sah: dem Shareholder. Für die Unternehmensführung von an einer Börse kotierten Unternehmen bedeutet(e) diese Wahl auch die grösstmögliche Gewinnbeteiligung bzw. den grösstmöglichen Bonus.

Ungeachtet der Wahl des wichtigsten Stakeholders sind ethische Managemententscheide grundsätzlich das Resultat eines Reflexionsprozesses, bei dem Güterabwägung und allenfalls auch Gewissenserforschung eine Rolle spielt. Sie stehen also wiederum im Zusammenhang mit dem Intellekt. Einzig ein Moralkodex, der als „gut“ definiert, was sich spontan und ohne jedes Nachdenken als gut und richtig anfühlt, der also dem Lustprinzip die höchste Autorität gibt, wäre von einer solchen Reflexion im Fällen der Entscheide ausgenommen.

Schlussfolgerung

Aus den obigen Abschnitten lässt sich Folgendes ableiten:

Digitale Transformation und damit einhergehende agile Organisation von Unternehmen wurde aus der partikularen Bereich der Softwareentwicklung und des IT-Projektmanagements entlehnt und versucht die dort erfolgreich eingesetzten Prinzipien auf die Unternehmensorganisation und -führung anzuwenden.

Um den als evolutionäre „Umwelteinflüsse“ verstandenen Anforderungen des digitalen Zeitalters und deren hoher Veränderungsgeschwindigkeit gerecht zu werden, wird dabei vermehrt auf rasche Entscheidungsfindung aus dem Bauch heraus und weniger auf die verhältnismässig langsamere Tätigkeit des Intellekts gesetzt. Auf diese Weise wird auf den Faktor Intelligenz beim Treffen solcher Entscheidungen zu Gunsten einer rascheren Entscheidungsfindung verzichtet, wobei eine potentiell erhöhte Fehlerquote zu grossen Teilen in Kauf genommen wird.

Die Auswirkungen auf die Ethik solcher Entscheidungen sind ähnlich gelagert, denn der weitgehende Verzicht auf den Intellekt und somit die Intelligenz lässt eine Ethik für Entscheidungen innerhalb der agilen Organisationsform und Managementmethode nur noch dann zu, wenn das Welt- und Menschenbild ein rein Biologisches ist und der Mensch dabei auf die Aspekte seiner Triebe und Instinkte reduziert wird.

Klassische Pflicht- oder Wertethik bzw. davon gelenkte menschliche Entscheidungen können in einem solchermassen agil transformierten Unternehmen nicht mehr erwartet werden. Ob dies in Zukunft wirklich so der Fall sein wird, hängt unter anderem davon ab, wie man sich von der gewählten Sicht auf die Veränderungen des digitalen Zeitalters als quasi-evolutionärer Naturprozess lösen kann und beginnt, diese Veränderungen aktiv zu lenken oder auch zu bremsen, anstatt sie als beinahe gottgegeben hinzunehmen.

Gastbeitrag von Claude Del Don, Legal Reporting Specialist bei Julius Bär Zürich, 20. August 2021

Kann das Premium-Kollektiv die Wirtschaft hacken?

In der Szene sei Uwe Lübbermann bekannt wie ein «bunter Hund», heisst es. Wir kannten ihn alle nicht und haben deshalb gerne die Leseempfehlung unseres Hörers Christian Horn aufgenommen. Im aktuellen MikroBuch geht es um nicht weniger als die Möglichkeit, die Wirtschaft zu hacken. Das macht Uwe Lübbermann mit seinem Kollektiv von Premium-Cola seit 2001. In seinem Buch erzählt er, wie das gehen kann. Er und einige Personen aus seinem Netzwerk, also Mitarbeitende, Professoren und Professorinnen aus Ethik und Betriebswirtschaftslehre, Zuliefernde und Abnehmende beschreiben das Geschäftsmodell aus ihrer persönlichen Warte. Sein Ziel: den Kapitalismus reparieren.

Wie funktioniert das Modell?

Lübbermann hat ein Unternehmen gegründet, das eine eigene Cola-Marke besitzt und das Getränk in eben jener Szene vertreibt. Ihm selber ist es wichtig, dass vieles genauso funktioniert wie anderswo in der Wirtschaft. Im Buch stehen aber vor allem die Funktionsprinzipien im Vordergrund, die aus der Firma etwas Besonderes machen. Das sind die wichtigsten:

  1. Die Geschäftsführung ist konsensorientiert, d.h. alle im Unternehmen entscheiden mit (im Sinne der Soziokratie).
  2. Es gibt eine zentrale Moderation, die dafür sorgt, dass die unterschiedlichen Interessen der Beteiligten in der gesamten Lieferkette zum Ausgleich kommen. Diese Funktion übernimmt Uwe Lübbermann.
  3. Das Unternehmen hört nicht an seinen eng gefassten Grenzen auf, sondern behandelt alle Beteiligten in der Lieferkette als gleichberechtigt.
  4. Gleichberechtigung in der Entscheidungsfindung bedeutet auch, dass alle den gleichen Stundenlohn haben.
  5. Dem Unternehmen sind sozialer und ökologischer Ausgleich wichtiger als die Absicht, finanzielle Gewinne zu erzielen.
  6. Aus Gründen der Fairness werden deshalb wenig hinterfragte Usancen des Getränkehandels, wie etwa der Mengenrabatt, umgekehrt. Bei Premium Cola gibt es Rabatt für kleine Mengen, um den Geschäftseinstieg möglich zu machen.
  7. Premium Cola versteht sich nicht nur als Nischenplayer im Getränkemarkt, sondern als «Betriebssystem». Daher wird die eigene Art und Weise der Unternehmensführung auch als Dienstleistung für andere angeboten.
  8. Einzig Beratung und Vorträge werden als Werbung für das Unternehmen eingesetzt.

Zu den Zahlen

Zu den betriebswirtschaftlichen Ergebnissen gibt es im Buch wenig Fakten. Dort steht die Idee der Firma als Betriebssystem und Wertegmeinschaft im Mittelpunkt.

Ein paar Zahlen habe ich recherchiert, um eine Vorstellung zur betriebswirtschaftlichen Dimension des Unterfangens zu erhalten. Premium Cola hat 1600 gewerbliche Partner und Partnerinnen (Stand 2016). Die produzierte Menge liegt bei 1,5 Millionen Flaschen im Jahr und ernährt im Kern mindestens 11 Personen (zumindest teilweise, Stand 2018). Die gleiche Quelle gibt auch an, dass jede Person 18 Euro die Stunde verdient. Hinzu kommen Zuschläge für Leute mit Kindern, angemieteten Büros oder körperlichen Einschränkungen.

Diskussion

Ist das nun eine Unternehmensidee, die nur solange lebt, wie Uwe Lübbermann den Karren anschiebt, oder kann ein solches Wirtschaftsmodell auch in anderen Branchen Schule machen? Diese und andere Fragen zum Unternehmensmodell haben wir in der aktuellen Podcast-Folge des MikroBuchs diskutiert. Dieses Mal ist die Hemmschwelle für Euch, das Buch zum Podcast mitzulesen, besonders niedrig. Erstens ist es kurz und zweitens kann es kostenlos heruntergeladen werden. Es kann aber auch bezahlt werden.

HIer geht es zum Podcast:

Die Buchvorstellung wurde ursprünglich am 3. Juli 2021 auf der Webseite der Mikroökonomen veröffentlicht.

Barbara Bohr (@nachrichtenlos), 17. Juli 2021

Superar Suisse braucht deine Unterstützung

Heute gibt es ausnahmsweise einen Aufruf in quasi eigener Sache. Mitgründerin Anna-Valentina Cenariu ist nicht nur Präsidentin bei den Vorbänkern, sondern auch Vorstandspräsidentin bei Superar Suisse. Superar Suisse braucht dringend finanzielle Unterstützung. Denn durch die Corona-Krise konnten keine Konzerte mehr stattfinden, die für eigenen Einnahmen hätten sorgen können. Du kannst Superar Suisse mit einer Spende unterstützen, damit die Organisation über den Sommer kommt: https://www.crowdify.net/en/project/future-with-music

Was macht Superar?

Superar ist eine europäische Initiative, die sich zum Ziel gesetzt hat, Strukturen zu etablieren, um Gesang, Instrumentalunterricht und Tanz im täglichen Leben von Kindern und Jugendlichen zu verankern. Superar nutzt die Möglichkeiten und positiven Begleiterscheinungen musikalisch-künstlerischer Förderung, um einen spürbaren Impuls in Richtung einer changengleichen Gesellschaft zu setzen. Superar Suisse macht als gemeinnütziger Verein qualitativ hochstehenden musikalischen Unterricht im Bereich Gesang und Orchester für alle Kinder und Jugendlichen möglich – unabhängig von ihrer Herkunft und ihren finanziellen und familiären Verhältnissen.

Im Zentrum des musikpädagogischen Ansatzes von Superar Suisse steht das gemeinsame kreative Lernen im Ensemble, wobei die fortgeschrittenen Kinder die jüngeren unterstützen. Dadurch fördert Superar Suisse die soziale Vernetzung durch musische Bildung. Der Einbezug von professionellen Künstlern als Superar Suisse-Tutoren gehört integral zum Ansatz von Superar Suisse. Regelmässige gemeinsame Konzertauftritte, sowohl in renommierten Sälen als auch an den Schulen der Kinder, sind als motivierende Lernziele für die Kinder zentrale Bestandteile von Superar Suisse. Superar Suisse beeinflusst über seine Aktivitäten das kulturelle Klima der Schulen positiv.

Superar wurde 2009 vom Wiener Konzerthaus, den Wiener Sängerknaben und der Caritas der Erzdiözese Wien als zentraleuropäisches Musikprojekt in Anlehnung an “El Sistema” aus Venezuela gegründet. Über die Jahre ist Superar sowohl in Österreich als auch in anderen Ländern stark gewachsen. Aktuell betreut Superar Kinder und Jugendliche an 14 Standorten in Österreich sowie an zehn Standorten in der Slowakei, der Schweiz, Liechtenstein, Rumänien und Bosnien.

Superar und Corona

Seit einem Jahr kann Superar pandemiebedingt wir keine Konzerte mehr durchführen und das Music Camp zusammen mit dem Lucerne Festival wurde nun auch für diesen Sommer zum zweiten Mal in Folge abgesagt. Damit kann der Verein seit über einem Jahr keine Eigeneinnahmen ausser den Vereinsmitgliedschaften mehr verbuchen oder weitere Fördergelder von Stiftungen generieren. Dies belastet die Liquidität existentiell. Die Mitarbeitenden können zum Teil Kurzarbeitsentschädigung beziehen, doch diese Gelder treffen verzögert ein und das Ziel ist, den Unterricht auch unter erschwerten Bedingungen durchzuführen. Für das kommenden Schuljahr 2021/22 sind gewisse finanzielle Mittel bereits gesprochen und Superar ist in Verhandlungen mit einem neuen Hauptsponsor. Die Chancen stehen sehr gut, jedoch nur, wenn Superar Suisse im Sommer noch existiert.

Wie Du helfen kannst

Damit Superar auch in Zukunft wertvollen Musikunterricht für über 400 Kinder und Jugendliche anbieten kann, braucht die Organisation dringend finanzielle Hilfe. Aufgeben ist für sie keine Option. Denn wie das spanische Wort «superar» (deutsch: etwas meistern, über sich hinauswachsen) schon verrät, möchten die Beteiligten diese finanzielle Krise meistern – mit deiner Unterstützung!

Was du tun kannst? Ganz einfach:

  • Auf Crowdify gehen: www.crowdify.net/zukunft-mit-musik
  • Auf den Button «Projekt boosten» drücken
  • Freien Betrag eingeben oder ein Goodie wählen
  • Name angeben und Zahlungsmittel wählen
  • Fertig – du hast Superar Suisse unterstützt

Und ganz wichtig: teilt diesen Beitrag mit Freunden, Bekannten, Grosseltern, Onkel und Tanten und, und, und…! Denn das Weiterverbreiten dieser Nachricht ist genau genauso wichtig!

Spende auf Crowdify: www.crowdify.net/zukunft-mit-musik
Teile auf Facebook: www.facebook.com/SuperarSuisse
Inspiriere auf Instagram: www.instagram.com/superar_suisse

Zu Gast bei den Mikroökonomen: Unser Linkfest zum Jahresende

Der Jahresrückblick unserer publizistischen Aktivitäten ist schnell gemacht: Anna und Barbara waren als Mitwirkende bei den Mikroökonomen aktiv. Insgesamt haben wir 11 Bücher über Wirtschaft und Finanzen vorgestellt und besprochen. Es hat uns sehr viel Spass gemacht und wir hoffen, mit diesen Kritiken Lust auf mehr nachhaltiges Wirtschaftswissen zu machen. Hier ist die Liste der Podcast-Episoden mit Links, in chronologischer Reihenfolge:

Mein persönlicher Favorit war Amartya Sen: eine anspruchsvolle Lektüre, die ich allen Wirtschaftsstudierenden empfehlen kann. Die grösste Enttäuschung war Katrine Marçals Buch, denn zum Thema Ökonomie und Frauen gäbe es sachlich sehr viel Wichtigeres zu sagen.

Herzlichen Dank an Marco, Ulrich und Hannah, dass wir über die Buchbesprechungen ihre Plattform für unabhängigen Wirtschaftsjournalismus mitgestalten können. Der Podcast kann über alle gängigen Player abonniert werden. Viel Spass beim Hören und Mitdiskutieren!

Berufliche Aktivitäten

Viel ausführlicher wäre der Jahresrückblick, wenn wir auch unsere beruflichen Aktivitäten auf dem Blog Revue passieren liessen. Es ist ganz erfreulich, dass wir drei Vorbänkerinnen inzwischen die Zielsetzung dieses Blogs auch hauptberuflich verfolgen: Anna leitet weiterhin die Fachstelle Nachhaltigkeit bei der Alternativen Bank Schweiz AG und ist Vertretende der Arbeitnehmenden im Verwaltungsrat der Bank, Melanie ist seit Oktober 2019 in der Geschäftsleitung der Alternativen Bank Schweiz AG und Barbara unterrichtete die beiden letzten Jahre das Modul „Nachhaltigkeit und Ethik“ im Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen an der OST Ostschweizer Fachhochschule.

Barbara Bohr (@nachrichtenlos), 29. Dezember 2020

Wer kochte Adam Smith das Dinner?

Anna, Barbara und Marco haben für die Mikrooekonomen Katrine Marçals «Machononomics. Die Ökonomie und die Frauen» gelesen. Ich nehme es vorweg: Das Buch hat uns in seiner verhärmten Einseitigkeit enttäuscht. Auch wenn inhaltlich alles richtig ist, was sie schreibt.

Die Kolumnensammlung, ursprünglich auf Schwedisch mit dem Titel «Det enda könet» (Das einzige Geschlecht) erschienen, ist inzwischen in 20 Sprachen übersetzt. Uns hat zunächst einmal der englische Titel angelockt. «Who cooked Adam Smith’s Dinner?» klang nach einer witzigen und entspannten Auseinandersetzung mit ihrer These, dass der homo oeconomicus aka der ökonomische Mann das gesamte Wirtschaftssystem und -denken beherrsche und damit die Weltwirtschaft zerstöre. Die Welt der Wirtschaft sei dermassen von diesem ökonomischen Mann geprägt, dass Frauen darüber ganz vergessen würden.

Margaret Atwoods Einschätzung hat ebenfalls zu unserem ersten positiven Eindruck beigetragen. Die kanadische Autorin kommt zu folgender Bewertung:

«[a ]smart, funny, readable book on economics, money and women ».

zitiert nach Katrine Marçal, LinkedIn-Profil

Leider teilen wir Margaret Atwoods Meinung nicht:

Selten waren wir uns so einig. Hier kann der Podcast gehört werden: https://mikrooekonomen.de/premium-mikrobuch019-katrine-marcal-wie-man-andere-dazu-bringt-die-oekonomik-zu-verteidigen/

ABS mit dem Swiss Ethics Award ausgezeichnet

Anna, Katrin und Melanie: Ich bin stolz auf Euch! 🥰

Auf dem Foto, von links nach rechts: Katrin Pilling, Projektleiterin Unternehmenskommunikation; Anna Cenariu, Leiterin der Fachstelle Nachhaltigkeit, und Melanie Gajowski, Mitglied der Geschäftsleitung der ABS. Fotograf: Ernst Kehrli

Zum ersten Mal ist eine Bank Preisträgerin des Swiss Ethics Award. Das von der ABS eingereichte Projekt «Klima-Aktive ABS» zielt auf den Klimaschutz und zeigt die bedeutende Rolle der Finanzflüsse auf. Der Betrieb einer Bank verursacht nur wenig direkte CO2-Emissionen. Die Geldströme hingegen, die von Banken verwaltet werden, haben eine massive Auswirkung.

Seit 30 Jahren für den Klimaschutz engagiert

Die ABS ist seit ihrer Gründung vor 30 Jahren dem Klimaschutz verpflichtet und zeigt, wie dieser im Bankgeschäft konsequent und dennoch wirtschaftlich erfolgreich angewandt und umgesetzt werden kann. In ihren Anlage- und Kreditrichtlinien hat die ABS Ausschlusskriterien definiert für Bereiche, in welche sie nicht investieren will. So werden beispielsweise Unternehmen ausgeschlossen, die massgeblich zum Klimawandel beitragen. Klimaschädliche Branchen werden ausgeschlossen. Wertpapiere von Ländern, die den Klimaschutz missachten und sich nicht zu den internationalen Klimazielen bekennen, werden nicht berücksichtigt. Gefördert werden hingegen Geschäftsfelder, die eine positive Wirkung auf Gesellschaft und Umwelt ermöglichen.

Transparenz im Kern des Geschäftsmodells

Als erste Schweizer Bank veröffentlichte die ABS 2016 den CO2-Fussabdruck ihrer Anlagen und zeigt transparent auf, wie sie mit dem Anlagegeschäft einen Beitrag zu einer klimafreundlichen Wirtschaft leistet. Zudem publiziert sie im gedruckten Geschäftsbericht jeweils alle vergebenen Kredite.

«Dass wir für unser Engagement im Bereich des Klimaschutzes mit dem Swiss Ethics Award ausgezeichnet ist für uns eine grosse Anerkennung und ein Ansporn für die Zukunft», sagte Anna Cenariu, Leiterin der Fachstelle Nachhaltigkeit bei der ABS, in ihrer Dankesrede nach der Preisverleihung.  

Barbara Bohr (@nachrichtenlos), Quelle: Pressemitteilung der Alternativen Bank AG vom 24.09.2020

Was ist Gerechtigkeit?

Bereits der Buchtitel verspricht den grossen Wurf: Amartya Sens «Die Idee der Gerechtigkeit» will eine umfassende Theorie der Gerechtigkeit entwerfen. Wie gelingt dies dem Ökonomen und Philosophen? Anna, Marco und Barbara stellen das Buch demnächst im Podcast vor. Das passt zeitlich sehr gut, denn Amartya Sen erhält dieses Jahr den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.

Wem gehört die Flöte?

Wer sich mit Gerechtigkeit und der Theorie der Gerechtigkeit auseinandersetzen möchte, der muss, so meint Amartya Sen, zunächst einmal erkennen, was überhaupt Unrecht ist, „dem man abhelfen kann“ (S.7). Amartya Sen nutzt zur Erläuterung seiner zentralen Idee ein Gedankenexperiment, um in die Problematik einzuführen:

Drei Kinder streiten um eine Flöte. Nur das erste Kind kann darauf spielen. Das zweite Kind ist arm und die Flöte wäre sein einziges Spielzeug. Das dritte Kind hat die Flöte selbst geschnitzt. Wem soll sie nun gehören?

zitiert nach der 2. Ausgabe 2107 (2. Auflage 2020), Peritext vorne.

Eines kann ich vorwegnehmen: Eine einfache, eindeutige Antwort auf dieses Gedankenexperiment gibt Sen nicht. Leitmotivisch kommt er immer wieder auf diese Situation zurück, um seine Ideen und die Auseinandersetzung mit denen anderer Denkern und Denkerinnen, die sich zum Thema geäussert haben, zu vertiefen. Dadurch gibt er uns Lesenden immer wieder neue Anregungen, über Gerechtigkeit und die Bedingungen ihres Entstehens nachzudenken.

Niti und nyaya

Im Mittelpunkt steht dabei immer wieder die kritische Auseinandersetzung mit dem Werk von John Rawls, der wie kein anderer die akademisch-philosophische Vorstellung von Gerechtigkeit geprägt hat. Dabei greift der Wirtschaftswissenschaftler immer wieder auf eine Unterscheidung zurück, die aus der indischen Rechtsprechung kommt: die Unterscheidung von niti und nyaya, die in Sanskrit beide «Gerechtigkeit» bezeichnen und unterschiedliche Aspekte von Gerechtigkeit meinen:

Niti bezeichnet die Korrektheit von Institutionen und Verhalten, während nyaya erfasst, was entsteht und wie es entsteht, und besonders darauf achtet, welches Leben Menschen tatsächlich führen können. Der Unterschied zwischen beiden Konzepten, […]hilft uns,  zu begreifen, dass es zwei Arten des Gerechtseins gibt, die verschieden, wenn auch nicht unabhängig voneinander sind, und dass die Idee der Gerechtigkeit beide berücksichtigen muss.

zitiert nach der 2. Ausgabe 2107 (2. Auflage 2020), S. 15.

Intellektuelles Vermächtnis

Es geht Sen aber nicht allein um ein Zurechtrücken der Rawlsschen Vorstellungen. Das Buch, so scheint es mir, hat einen stark autobiografischen Charakter. Sens opus magnum zeichnet sehr detailliert seine Auseinandersetzung mit der politischen Philosophie und der Moralphilosophie in den Wirtschaftswissenschaften nach. Dabei tritt er in einen intensiven Dialog mit historischen Figuren, auf die er sich immer wieder bezieht (allen voran Adam Smith und der Marquis de Condorcet). Er bezieht sich aber auch immer wieder auf Lob und Kritik an seinen eigenen Veröffentlichungen seitens seiner Weggefährten und demonstriert so sein weit verzweigtes, interdisziplinäres Netzwerk.

Nun mag diese «Show» des eigenen Denkens und Schaffens (die sich in sehr vielen Fussnoten und Sternchen-Anmerkungen dokumentiert) stellenweise ein wenig eitel wirken. Und nötig hat er es auch nicht, denn 1998 wurde ihm der sogenannte Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften verliehen. Immerhin hat das Buch durch die vielen Querverweise und (Selbst-)Referenzen damit auch einen positiven Nebeneffekt: Sen macht deutlich, dass die Ökonomie eine moralische Wissenschaft ist, die sich der politischen Philosophie gegenüber öffnen muss, wenn sie vernunftgeleitete Antworten auf die Fragen der Gerechtigkeit finden möchte.

Doch hat er damit Recht? Wie Gerechtigkeit in Sens Verständnis konkret aussehen kann, das möchten wir miteinander und mit Euch diskutieren, hier in der Buchbesprechung.

Wir danken dem dtv, der uns das Rezensionsexemplar freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat. Dieser Text erschien als Ankündigung am 05.09.2020 bei den Mikroökonomen.

Barbara Bohr (@nachrichtenlos), 14. September 2020

Aya Jaff: Keine Angst vor Aktien

«Aktien sind nicht böse», meint Aya Jaff und hat deshalb ein Buch über die Börse geschrieben. Ihr Ziel ist es, jungen Menschen Angst vor der Börse zu nehmen. Das tut sie, indem sie über das, was dort geschieht, in leicht verständlicher Form aufklärt und Geschichten über wirtschaftliche Akteure erzählt. Gelingt ihr dies? Marco, Anna und Barbara besprechen Jaffs «Moneymakers. Wie du die Börse für dich entdecken kannst» in unserer nächsten Runde der Buchkritik.

Wer ist Aya Jaff?

Aya Jaff ist eine 24-jährige Studentin der Wirtschaftswissenschaften und Sinologie. Sie ist im Teenageralter als Mitgründerin und CTO des Börsenspiels «Tradity» für deutsche Schulen bekannt geworden. Als 15-Jährige ging sie mit einem Stipendium nach Kalifornien, um an der Draper University die Grundlagen des Business Development kennenzulernen. Inzwischen hat sie mehrere eigene Firmen gegründet und berät andere, die dies gerne tun möchten. Daher wird sie gerne gebucht als Rednerin für Themen wie Start-Up-Entwicklung, Frauen in technischen Berufen sowie Coding und Trading. Geboren im Irak, kam Jaff im Alter von einem Jahr mit ihren Eltern und der Schwester nach Nürnberg.

Hier stellt sie sich und ihr Buch bei Böhmermann vor:

Worum geht es bei den «Moneymakers»?

Das Buch ist nicht ganz so einfach zusammenzufassen, weil es aus einem Mash-Up verschiedener Elemente besteht. Da gibt es Informationsblöcke, in denen Grundprinzipien des Wirtschaftens und des unternehmerischen Denkens leicht verständlich erklärt werden. Dazu gehört auch im letzten Kapitel ein Werkzeugkasten von Apps und weiteren Informationen, die helfen, sich aktiv mit dem Börsengeschehen auseinanderzusetzen. Gleichzeitig geht es jedoch nicht nur um die Börse aus Anlegersicht, sondern um das «Mind-Set», das es braucht, um als Unternehmer oder Unternehmerin an der Börse erfolgreich zu landen. Deswegen gibt Jaff Einblicke in technologische Trends sowohl aus dem Silicon Valley wie auch aus China. Ebenso wie wir hat sie Kai-Fu Lees Buch über die AI Superpowers gelesen. Angereichert werden die Informationsteile durch zahlreiche Vignetten, in denen sie Persönlichkeiten vorstellt, die «Moneymaker» sind. Deren Geschichten haben sozusagen Vorbildcharakter und zeigen, wie man mit Wirtschaft und Geld umgehen kann.

«Mama didn’t raise no fool»

Aus meiner Sicht lassen sich Text und Person am besten mit einem Zitat von Jay-Z zusammenfassen, das Jaff selber in ihrem Buch bringt (S. 27). Sie ist ein Genie in Sachen Selbstvermarktung:

I sell ice in the winter,
I sell fire in hell,
I am a hustler baby,
I’ll sell water to a well.

Jay-Z, U don’t know, https://www.youtube.com/watch?v=TdAY2g39GdI

Doch genug der Vorrede. Hier könnt Ihr unsere Diskussion über ihr Buch hören:

https://mikrooekonomen.de/podcast/episode/mikrobuch015-geldscheffeln-fuer-anfaenger/

Barbara Bohr (@nachrichtenlos), 09. Juli 2020