Im Rahmen ihrer Geldgespräche hatte die Alternative Bank Schweiz die Nachhaltigkeitsexpertin Andrea Ries, zuständig für die Umsetzung der Agenda 2030 bei der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit des Bundes (DEZA), am 03. November 2016 nach Olten eingeladen. Souverän führte Frau Ries in die 17 neuen nachhaltigen Entwicklungsziele der UN mit dem Motto „Der Weg ist das Ziel“ ein. Die neuen SDGs (Sustainable Development Goals) sind in Anlehnung an den Entwicklungsprozess der Millenniums-Entwicklungsziele (MDGs) entworfen worden und sind am 1. Januar 2016 in Kraft getreten.
Bedeutung der Entwicklungsziele für die Schweiz
Ries zeigte auf, welche gesellschaftlichen Aufgaben bei der Umsetzung dieser anspruchsvollen und nicht widerspruchsfreien Agenda auf die Schweiz zukommen. Jedes Entwicklungsziel umfasst konkrete, messbare Ergebnisgrössen, so dass das Gesamtbild der nachhaltigen Entwicklungsziele recht komplex wirkt. Insgesamt sind es 169 Unterziele, die die Fortschritte überprüfbar machen.
Doch wo genau kann die Schweiz hier Besonderes leisten? Geht es uns nicht besonders gut, so dass uns die nachhaltigen Entwicklungsziele nur am Rande betreffen? Anhand mehrerer Beispiele, wie dem Finanzmarkt, des Food Waste oder auch der Gleichstellung erläuterte Ries, dass auch die wohlhabende Schweiz noch einige Entwicklungsziele zu verfolgen hat.
Die kompakte Einführung führte zu einer regen Diskussion mit zwei inhaltlichen Schwerpunkten.
Wenig Medienresonanz
Zum einen war das Publikum angesichts der enormen Anstrengungen und Aufwände etwas enttäuscht über die mangelnde Medienresonanz des Themas. Insbesondere in der Schweiz liege es möglicherweise auch daran, so der Erklärungsversuch von Frau Ries, dass alle Entwicklungsziele gleichzeitig fast immer jeden Bundesrat betreffen würden und damit die Adressierung der Verantwortlichkeit recht schwierig werde. Für die Medien und die Öffentlichkeit sei es einfacher, klare und eindeutige Verantwortungen zu kennen.
Strittiges Wachstumsziel
Zweiter Streitpunkt war die Problematik des Wirtschaftswachstums. Mehrere Teilnehmer aus dem Publikum sprachen sich gegen Punkt 8 der Entwicklungsziele aus, der dauerhaftes, breitenwirksames und nachhaltiges Wirtschaftswachstum, produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle fördern soll. Man habe sich damit nicht vom Zwang des Wirtschaftswachstums befreien können, das sich nur an der Zunahme des BIP orientiere. Damit mache man den Planeten kaputt, hiess es weiter. Frau Ries wies darauf hin, dass die angepeilten Wachstumsraten von 7 % pro Jahr ganz speziell nur für die ärmsten Länder (LDCs, least developed countries) gelten würden, konnte damit einige kritische Stimmen im Teilnehmerkreis jedoch nicht überzeugen.
Wachstum ohne Entwicklung?
Aus wachstumskritischer Sicht ist das Entwicklungsziel 8 sicherlich das schwierigste. Passen Wachstum und Nachhaltigkeit überhaupt zusammen? Bedeutet Wachstum immer auch Entwicklung? 1987 hiess es dazu im Bericht der Weltkommission zu Umwelt und Entwicklung noch relativ klar:
„Nachhaltige Entwicklung erfordert klar ökonomisches Wachstum dort, wo elementare Bedürfnisse nicht erfüllt werden. Anderswo kann es mit ökonomischem Wachstum übereinstimmen, vorausgesetzt die Art des Wachstums berücksichtigt die allgemeinen Prinzipien der Nachhaltigkeit und das Prinzip, andere nicht auszubeuten.“
In den neuen Entwicklungszielen ist dieses ökologische und soziale Verständnis von Wachstum weniger transparent. Die aktuelle Formulierung suggeriert, dass das BIP der ultimative Massstab für die Wohlfahrt bleibt – für arme wie für reiche Länder.
Man kann darüber streiten, ob das Pro-Kopf-BIP der beste Bemessungsmassstab ist, oder ob nicht andere Grössen, wie der HDI (Human Development Index) oder der Social Progress Index besser wären. Unabhängig von der Messgrösse wird wohl niemand den ärmsten Ländern der Erde, wie Niger, Kongo, der Zentralafrikanischen Republik oder dem Chad, das Recht auf höheren materiellen Wohlstand absprechen wollen. Die Mehrheit der Bewohner dieser Länder muss mit weniger als einem Dollar pro Tag auskommen. Ausserdem baut das Unterziel 8.4 eine Brücke zur Nachhaltigkeit, die in Ziel 12 formuliert ist. Dieses fordert:
…bis 2030 die weltweite Ressourceneffizienz in Konsum und Produktion Schritt für Schritt (zu) verbessern und die Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Umweltzerstörung an(zu)streben, im Einklang mit dem Zehnjahres-Programmrahmen für nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster, wobei die entwickelten Länder die Führung übernehmen.
Diese Brücke bleibt eine Hilfskonstruktion. Es wäre überzeugender gewesen, Wirtschaftswachstum und Nachhaltigkeit explizit als gemeinsames Ziel zu formulieren. Im Rahmen der lebhaften Plenumsdiskussion konnte der Zielkonflikt zwischen Nachhaltigkeit und Wirtschaftswachstum denn auch nicht geklärt werden. Deshalb sei ergänzend auf das grundsätzliche Gespräch zwischen Erhard Eppler und Nico Paech in der aktuellen ZEIT verwiesen. Kann es Fortschritt ohne Wachstum geben?
Barbara Bohr (@nachrichtenlos), 07.11.2016
Quellen:
United Nations (2016), Sustainable Development Goals Knowledge Platform https://sustainabledevelopment.un.org/sdgs
Jens Martens und Wolfgang Obenland (Februar 2016), Die 2030-Agenda Globale Zukunftsziele für nachhaltige Entwicklung, https://www.globalpolicy.org/images/pdfs/GPFEurope/Agenda_2030_online.pdf
Irmi Seidl und Angelika Zahrnt (28.09.2015), SDGs: Steht Nachhaltigkeit unter Wachstumsvorbehalt, http://www.postwachstum.de/sustainable-development-goals-steht-nachhaltigkeit-global-unter-dem-vorbehalt-von-wachstum-20150928
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